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Der Gottesschrein

Der Gottesschrein

Titel: Der Gottesschrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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Jungen lassen nicht locker, hopsen ausgelassen um mich herum und schreien durcheinander: »Abendmahlssaal, Haus des Hohepriesters Kaiphas, Burg Antonia, Tempelberg …«
    O ja, ich habe meinen Spaß mit diesen niedlichen kleinen Rotznasen! Schließlich gebe ich auf und trete in Verhandlungen mit Khalid, Karim, Akiva, Elija, Ioannis und dem kleinen Basilios, der, wie er mir stolz erklärt, gerade sechs geworden ist. Seine Freunde sind nicht älter als zehn – sie haben noch nicht gelernt, sich zu hassen, sich gegenseitig als ›Gottesmörder‹ und ›Kreuzanbeter‹ zu beschimpfen und mit Steinen zu bewerfen.
    Mit glänzenden Augen beobachten sie, wie ich einen goldenen Fiorino aus meiner Tasche ziehe und ihnen vorschlage, einen Firman von ihnen zu erwerben. Sie wissen, was ein Firman ist: eine Vollmacht, ein Pass oder ein Schutzbrief des Herrschers eines muslimischen Reiches, der vom Sultan oder vom Emir unterzeichnet wird. Auf ein Stück Papier, das Akiva in einem der Läden besorgt, schreibe ich meinen Namen und ein paar Worte auf Arabisch und schärfe den Jungen ein, diesen ›Firman‹, der ja eigentlich keiner ist, zum Emir in die Zitadelle zu bringen, falls mir etwas zustoßen sollte.
    »D-du meinst, w-wenn jemand v-v-v-versucht, dich zu ermo-horden?«, stottert Elija aufgeregt.
    Ich nicke ernst und erkläre ihnen, dass ein portugiesischer Mönchsritter mich verfolgt und dass sie mich warnen sollen, wenn sie ihn in der Menge der Pilger entdecken.
    Karim reißt die Augen auf. »Ein Kreuzritter?«
    »Ein Templer«, flüstere ich verschwörerisch und beschreibe ihnen Dom Tristãos weißen Habit mit dem roten Templerkreuz auf der Schulter.
    Ein geheimnisvoller Tempelritter? Eine Schatzkarte, die er mir gestohlen hat? Eine aufregende Verfolgungsjagd quer durch Jerusalem? Sofort sind die Bengel Feuer und Flamme, mich vor Dom Tristão zu beschützen. Den feierlichen Treueschwur, auf dem ich mit ernster Miene bestehe, leisten sie mit kindlichem Ernst. Elija vergisst dabei sogar zu stottern.
    Ich bin zufrieden. In der Hoffnung auf einen goldenen Fiorino wird mir meine überkonfessionelle Schutztruppe den freien Zugang zu allen Vierteln von Jerusalem gewähren und alle anderen Bettelkinder abdrängen, die heute wie Kletten an den christlichen Pilgern hängen.
    »Tut mir den Gefallen, und wartet hier auf mich.« Ich deute auf einen jüdischen Laden einige Schritte die Kettenstraße hinunter. »Ich will dort drüben etwas kaufen.«
    Ich mache einen Bogen um zwei jüdische Jungen, die mitten in der Gasse fröhlich lachend Fußball spielen, während zwei ältere Rabbinen mit langen weißen Bärten, die in ihren talmudischen Disput vertieft sind, mitten durch ihr Spielfeld spazieren und dabei um ein Haar über den Lederball gestolpert wären.
    In aller Ruhe wühle ich mich durch etliche Schichten von gefalteten Tallits aus Wolle, bis der Händler schließlich einen Gebetsschal aus golddurchwirkter Seide vor mir ausbreitet, der jenem ähnelt, den Yared letzte Nacht zerrissen hat. Heute Mittag, wenn ich aus der Grabeskirche in die Zitadelle zurückgekehrt bin, will ich ihn Yared schenken – falls er trotz seiner Verpflichtungen als Emir einen Augenblick Zeit für mich hat.
    Ich zeige Interesse an dem Tallit, befühle die kostbare Seide, halte die schimmernden Goldfäden ins Sonnenlicht und frage nach dem Preis. Dann winke ich entrüstet ab und mache Anstalten, den Laden zu verlassen. Yonatan ben Eleazar folgt mir, den Tallit über dem Arm, bis auf die Straße. Als er mir erzählt, dass seine Familie vor dreißig Jahren aus Rom geflohen ist, feilschen wir nur so zum Spaß auf Italienisch weiter. Er spricht mit römischem Akzent. Wo das Haus seines Vaters gestanden habe? Am Tiber, gegenüber dem Castel Sant’Angelo. Ganz in der Nähe des Dominikanerkonvents Santa Maria sopra Minerva, dem Hauptquartier der römischen Inquisition. Nachdem wir eine Weile über Rom geplaudert haben, nenne ich meine Preisvorstellung, und er ringt in gespielter Verzweiflung die Hände und erzählt mir von seinen Söhnen und Töchtern. Schließlich winkt er einen Jungen heran, der mit einem Messingtablett voller Teegläser an dem Laden vorbeieilt. Wir trinken einen Minztee und einigen uns schließlich auf einen akzeptablen Preis, den ich mit den in Ägypten begehrten Fiorini aus Florenz begleiche.
    Wie ich den Orient liebe! Wie ich es genieße, in Jerusalem zu sein! Und wie ich mich darauf freue, Yared wiederzusehen und ihm diesen schönen Tallit zu

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