Der Gottesschrein
Brust kringelt. Er trägt eine schlichte weiße Djellabiya und einen gelben Turban. Er wirkt so staubig, alt und weise wie die Bücher, die ich in den Regalen seines Arbeitszimmers vermute. Das Alter – er mag um die siebzig sein – und die schwere Steinkugel haben seinen Rücken gekrümmt. Er wirkt gebrechlich. »Der Führer der jüdischen Gemeinde von Jeruschalajim.«
Rabbi Eleazar verneigt sich steif und stützt sich dabei schwer auf einen Stock. »Schalom alecha.«
»Schalom.« Ich deute auf den Sessel, den Benyamin für mich in den Turmgarten bringen ließ. »Willst du dich nicht setzen, Rabbi?«
Er sieht sich um, kann aber nur diesen einen Sessel entdecken. »Und du?«
Ich winke ab und helfe ihm beim Hinsetzen. Mit einem atemlosen Seufzer sackt er in die Kissen. Dann blickt er zu mir hoch.
»Die jüdische Gemeinde übermittelt dir ihre herzlichen Glückwünsche zu deinem Amtsantritt als Vizekönig von Damaskus. Wir wissen, was du in Ägypten für Gottes vergessene Kinder getan hast. Du bist ein Gerechter, Yared ben Netanya! Wir Juden hoffen voller Zuversicht, dass du uns Frieden schenken wirst, und erflehen Gottes Segen für deine Regentschaft.«
Ich nicke.
»Darf ich offen sprechen?«
»Nur zu.«
»Die Stimmung in Jeruschalajim ist angespannt. Seit deine Mamelucken die Gläubigen aus der belagerten Synagoge befreit haben – wofür wir dir sehr dankbar sind! –, rotten sich die Muslime zusammen und dringen gewaltsam in unsere Häuser ein. Sie suchen einen Tallit.«
»Einen Tallit?«
»Einen golddurchwirkten Tallit aus weißer Seide, so wie du ihn heute Mittag auf dem Weg zum Tempelberg getragen hast.« Er atmet tief durch. »Der Merkfaden eines solchen Tallits wurde heute Morgen im Felsendom gefunden. Der Imam der Al-Aqsa hat in seiner Freitagspredigt die jüdische Gemeinde beschuldigt, den Tempelberg schänden zu wollen, und die Muslime gegen uns aufgehetzt: ›Diese Juden, die sich für das auserwählte Volk halten, wollen doch immer nur den Frieden stören – das hat sich seit dem Tag nicht geändert, da Moses sie aus Ägypten führte!‹ Das soll dieser Goj gesagt haben. Die Muslime suchen nun einen Schuldigen. Sie suchen einen Juden, der einen solchen Tallit besitzt. Und Adonai unser Gott sei ihm gnädig, wenn sie ihn finden.«
Ich nicke stumm.
»In zwei Stunden beginnt der Schabbat, und ich fürchte, die Gojim werden uns nicht in Ruhe lassen, bis sie gefunden haben, wonach sie suchen. Wir können uns gegen sie nicht wehren. Es wird uns nichts anderes übrig bleiben, als unsere Türen zu öffnen und sie hereinzubitten. Sie werden unsere Häuser durchwühlen und die Schabbatruhe stören.«
Er wartet, damit ich das ganze Ausmaß des Unheils bedenke, dann fährt er fort:
»Die jüdische Gemeinde von Jeruschalajim besteht nur aus sechzig Familien – kein Vergleich zu Al-Iskanderiya oder Al-Kahira. Ich kenne jeden einzelnen Juden, von Ashers Sohn, der letzte Woche geboren wurde, bis zum ehrwürdigen Yaakov ben Gurion. Die meisten Familien sind vor hundertvierzig Jahren aus Frankreich vertrieben worden und haben all ihren Besitz zurücklassen müssen. Andere sind in den letzten Jahren vor der Inquisition aus Spanien geflüchtet, mit wenig mehr als den silbernen Schabbatleuchtern im Gepäck. Ich selbst bin vor dreißig Jahren als christlicher Mönch verkleidet aus Rom geflohen. Wir sind Färber, Schneider, Schuhmacher und Händler. Wir sind nicht reich und helfen uns gegenseitig, damit jeder genug zum Leben hat. Keiner von uns besitzt einen golddurchwirkten Seidentallit. Einen Tallit, der mehr kostet, als es braucht, um eine Familie wie meine ein halbes Jahr lang zu ernähren.«
Bevor ich mir ein Herz fassen und gestehen kann, dass ich in dieser Nacht im Felsendom gewesen bin, hebt Rabbi Eleazar, als ob er ahnt, was ich sagen will, die Hand und gebietet mir mit dieser Geste, zu schweigen.
»Mein jüngster Sohn Yonatan hat einen Laden in der Kettenstraße, in dem er Tallits verkauft. Heute Morgen war eine junge Frau bei ihm, eine Christin aus Rom, die einen golddurchwirkten Seidenschal gekauft hat.«
Mein Herz beginnt zu klopfen.
Ich fürchte um Alessandras Leben!
»Ich weiß«, nicke ich beklommen.
Rabbi Eleazar starrt mich an.
Ich ziehe den Tallit aus der Tasche meiner Djellabiya und entfalte ihn. »Sie hat ihn für mich gekauft. Er ist ein Geschenk, über das ich mich sehr gefreut habe. Bitte richte deinem Sohn aus, dass mir der Tallit gefällt. Ich habe ihn heute Mittag getragen,
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