Der Graben: Thriller (German Edition)
schon mal in unser Zimmer«, sagte er zu Hosokawa und Kato. »Ich komme mit Kagayama nach.« Dieser war immer noch im Bad hinter verschlossener Tür und machte keinerlei Anstalten, demnächst herauszukommen.
»Wir helfen dir«, bot Hosokawa an.
»Danke, es geht schon. Es wäre eine große Hilfe, wenn ihr beiden vorgeht und die Ausrüstung zusammenpackt.«
Die beiden nickten und schlurften aus dem Zimmer. Für die Entscheidung, die Dreharbeiten abzusagen, war Hashiba verantwortlich. Darüber hinaus würde er die anderen selbst bestimmen lassen, was sie tun wollten. Sie hatten zwei Autos zur Verfügung, und wenn sie gemeinsam nach Tokio zurückfuhren, konnten sie immer noch ihre letzten Augenblicke im Kreise ihrer Familien verbringen.
Hashiba öffnete die Tür zum Bad. Ein beißender Geruch nach Erbrochenem schlug ihm entgegen. Kagayama saß auf dem Boden und hielt die Hände über die geöffnete Toilette. Seine Schultern zuckten unter seinen Schluchzern. Hashiba hielt sich mit einer Hand die Nase zu und tätschelte Kagayama mit der anderen den Rücken. Er knipste das Licht an, doch die Lüftung schien defekt zu sein, sodass der saure Geruch weiterhin penetrant in der Luft hing.
»Komm schon, Mann, lass uns hier verschwinden.«
Während er Kagayama über den Rücken strich, bemerkte Hashiba ein Geräusch. Von den Lüftungsschlitzen in der Wand führte vermutlich ein Rohr nach draußen. Dieses schien Geräusche vom Parkplatz aufzufangen und ins Bad zu leiten. Endloses Hupen, das sich mit einer A-Capella-Version von »Jingle Bells« zu einem misstönenden Konzert vereinigte. Hashiba konnte auch die Stimmen eines Pärchens hören, das sich munter unterhielt. Die meisten Worte gingen im Hintergrundlärm aus Motorengeräuschen und Weihnachtsliedern unter, doch ein einzelner Satz war zu verstehen; eine helle weibliche Stimme erhob sich über den Lärm: »Küssen wir uns, hier vor allen Leuten – schließlich war es ein besonderer Tag…«
Die Frauenstimme schien direkt in Hashibas Ohr zu raunen, neckisch und süß. Prompt musste er an Saeko denken; er zog sein Telefon aus der Tasche und drückte die Kurzwahltaste für ihre Nummer. Wieder wurde der Anruf direkt auf ihre Mailbox umgeleitet.
Sie muss ihr Telefon immer noch ausgeschaltet haben.
Hashiba hinterließ eine Nachricht, in der er zu beschreiben versuchte, was sie herausgefunden hatten. Er sprach etwa eine halbe Minute, bevor er wieder auflegte. Ihm wurde bewusst, dass er sie für verrückt halten würde, wenn sie ihm genau diese Nachricht hinterlassen hätte.
47
Das Elternschlafzimmer war der einzige Raum im Haus, der im japanischen Stil eingerichtet war. Es lag genau gegenüber dem Wohnzimmer auf der anderen Seite des Korridors. Bei ihrem ersten Besuch hatte Saeko nur einen kurzen Blick hineingeworfen. Damals hatte die Sonne durch die nach Süden hinausgehenden Terrassentüren geschienen. Trotzdem hatte sie das Zimmer als düster und farblos in Erinnerung, wahrscheinlich, weil fast keine Möbel darin standen. Es gab nur zwei Wandschränke mit einem dazwischengezwängten buddhistischen Altar in schwarzem Lack. Der dunkle Altar, in dem sich das Sonnenlicht spiegelte, hatte ihren ersten Eindruck von dem Raum geprägt.
Der Altar war mit einem einzigen Foto geschmückt, das einen älteren Mann zeigte. Saeko nahm an, dass es Harukos Schwiegervater war, Kotas Vater. Hashiba hatte gesagt, hier hätte er den Terminkalender ihres Vaters gefunden, direkt unter dem Bild.
Den Namen des Mannes kannte Saeko nicht. Bei ihren Recherchen zum Verschwinden der Familie hatte sie nicht daran gedacht, Informationen über ihn einzuholen. Sie wusste nicht, wann er verstorben war, und dies war das einzige Foto, das sie je von ihm gesehen hatte. Saeko wurde bewusst, dass sie immer noch recht wenig über die Familie wusste.
Trotzdem war es seltsam, dass Hashiba den Terminkalender auf einem Altar gefunden hatte, der zu Ehren von Harukos Schwiegervater errichtet worden war. Wenn es der Altar ihres Vaters gewesen wäre, hätte das vielleicht noch einen Sinn ergeben. Doch der Gedanke, den persönlichen Gegenstand eines Mannes, mit dem man eine Affäre hatte, auf dem Altar für den eigenen Schwiegervater zu deponieren, war irgendwie abartig. Vielleicht hatte Saeko die Beziehung zwischen den beiden falsch gedeutet; vielleicht war es gar kein Ehebruch gewesen. Oder eine dritte, unbeteiligte Person hatte das Büchlein dort abgelegt. Aber wer, und wann? Hatte der Kalender schon dort
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