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Der Graben: Thriller (German Edition)

Der Graben: Thriller (German Edition)

Titel: Der Graben: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kôji Suzuki
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gelegen, bevor die Familie verschwand, oder hatte ihn später jemand dort deponiert? Wie auch immer, Saeko konnte nicht begreifen, warum jemand den Terminkalender ihres Vaters hier hinlegen sollte. Wenigstens wusste sie jetzt, wo sie mit ihrer Suche beginnen würde – im Elternschlafzimmer, dem Zimmer von Haruko und ihrem Mann.
    Saeko stand auf und wollte gerade das Wohnzimmer verlassen, als ihr ein Bild im Fernsehen ins Auge sprang. Sie blieb wie angewurzelt stehen. Den Ton hatte sie abgestellt, doch auf dem Bildschirm waren unnatürlich wirkende Lichter zu sehen. Zuerst dachte Saeko, es wäre eine Spiegelung der Deckenlampen im Wohnzimmer, doch als sie den Blick hob, sah sie, dass es nur eine rechteckige Neonleuchte gab. Die Lichter auf dem Bildschirm sahen jedoch eher aus wie mehrere runde Glühbirnen.
    Die Bilder schienen nicht mehr von dem Erdspalt in Kalifornien übertragen zu werden. War etwas Neues geschehen? Eine Einblendung unten am Bildrand gab an, dass man in Kalkutta war, und eine Digitaluhr zeigte die Ortszeit an, kurz nach sechs Uhr am frühen Abend. Die Kamera schwenk te über eine riesige Menschenmenge. Im Westen hing eine rote Sonne am Himmel, die sich langsam auf den Horizont zubewegte. Doch die Menge schaute nicht zum Horizont; alle schienen nach oben zu starren, an einen Punkt irgendwo zwischen dem dunkler werdenden Himmel und dem Sonnenuntergang.
    Die Menge sah ehrfürchtig aus, und viele saßen da und waren ins Gebet vertieft. Es war ein beeindruckender Anblick: Zehntausende von Menschen, die alle zum Himmel hinaufschauten und zu etwas beteten. Die Kameras schwenkten nach oben, um zu zeigen, was die Leute anstarrten. Hoch oben am Himmel hingen fünf Lichtscheiben, Untertassen wie Ufos, die einen Kreis bildeten. Sie bewegten sich nicht, strahlten nur ein gleichmäßiges, fahles Licht aus. Die Schlagzeilen, die über den Bildschirm liefen, gaben Auskunft, dass die Lichter sich in zig Kilometern Höhe befanden. Es war klar, dass sie nicht von Menschen gemacht waren. Sie sahen aus wie fünf Vollmonde gleichzeitig, oder leuchtende weiße Blumen, zu einem runden Strauß gebunden. Das nächste Bild, das Saeko durch den Kopf schoss, war das von einer Lampe in einem Operationssaal, die einen Patienten von allen Seiten anstrahlte, sodass keine Schatten geworfen wurden. Da Saeko noch nie operiert worden war, wunderte sie sich, dass ihr ein solches Bild einfiel. Und sie wurde es nicht mehr los, konnte die Vorstellung nicht abschütteln, dass die fünf Lichter am Himmel Halogenbirnen waren. Sie konnte sich genau vorstellen, wie sie an einer unsichtbaren Decke befestigt waren, aufgehängt an einem Metallarm, der sich dahinter erstreckte.
    Das Bild, das sie sah, wurde zweifellos weltweit ausgestrahlt, und Hunderte von Millionen schauten zu. Saeko war sich jedoch sicher, dass sie wohl die Einzige auf der Welt war, für die diese Lichter aussahen wie der Teil eines riesigen Operationssaals. Sie hatte das Gefühl, auf einem Operationstisch zu liegen und zu den Lichtern hinaufzuschauen. Dann schüttelte sie die lästige Empfindung ab und verließ das Wohnzimmer. Sie öffnete die Tür zum Schlafzimmer gegenüber und drückte auf den Lichtschalter. Als die Lampen den Raum erhellten, erinnerte sie sich plötzlich an einige Worte: »Wenn es das ist, was Sie wollen, na schön. Ich halte Sie nicht auf!«
    Die gleichen Worte waren ihr bei ihrem letzten Besuch hier eingefallen, als sie den Terminkalender ihres Vaters vom Tisch genommen hatte. Sie hielt inne und sah nach, ob niemand im Zimmer war. Dann atmete sie tief durch und versuchte, sich zu beruhigen, damit ihre Fantasie nicht wieder die Oberhand gewann und eine Kettenreaktion auslöste, bis sie schließlich Dinge hörte, die gar nicht da waren. Sie verdoppelte ihre Anstrengungen, objektiv zu bleiben.
    Das Zimmer sah größer aus, als sie es in Erinnerung hatte, was sicher an den wenigen Möbeln lag. Es war groß genug für acht Tatami-Matten. In der Mitte des Raums stand ein niedriger Tisch, neben dem ein einzelnes Kissen auf dem Boden lag. Saeko stellte sich vor, dass die Fujimuras abends ihre Futons auf dem Boden ausrollten, dass sie getrennt schliefen, als wäre der Raum in zwei Hälften geteilt. Der braune Tisch wäre die Grenze gewesen.
    Sie ging zu einem der Wandschränke und schob die Tür auf. Im Inneren stank es nach Körpergeruch. Ein paar Matratzen und Bettlaken lagen halb zusammengefaltet darin, wellig wie ein Querschnitt durch die Erde. Auf dem

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