Der Graf und die Diebin
befreit, zog die weiße Raupenhülle über den Kopf und warf sie mit zornigem Schwung auf die Wiese. Aufatmend stand sie in ihrer Nacktheit, rieb sich Brüste und Bauch mit den Händen, und Claude verspürte einen Wirbel, der ihm von unten herauf bis in den Kopf stieg und seine Sinne verwirrte.
Er trat einen Schritt vor, ein Zweig knickte unter seinem Stiefel, und die kleine Najade schrak zusammen.
„Warte!“, rief er. Sie raffte das am Boden liegende Hemd an sich und hielt es sich vor. „Ich will dir nichts tun. Warte doch!“ Er stolperte aus dem Gebüsch heraus, blieb mit dem Stiefel an einer Wurzel hängen und wäre fast gestürzt. „So lauf doch nicht weg!“
Aber die Kleine war schon davon, flussaufwärts sah er sie durch das Gras hüpfen, das lange schwarze Haar hatte sich aufgelöst und wehte hinter ihr her. Er setzte ihr einige Sprünge nach, dann gab er es auf. Er war zu langsam.
Sein Blick fiel auf den gefüllten Wäschekorb, den sie am Bachufer zurückgelassen hatte.
Ein boshaftes Grinsen überzog sein Gesicht. Die Kleine würde noch bereuen, davongelaufen zu sein.
Er fasste den schweren Korb und schüttete die Kleidungsstücke in den Bach. Die angeschwollenen Fluten trugen die Sachen rasch mit sich fort.
Der junge Comte saß in der Bibliothek und las das Schreiben, das die Post aus Paris gebracht hatte.
Mein liebster Freund!
Sind die Freuden des Landlebens denn gar so süß, dass sie Euch völlig daran hindern, mir ein Lebenszeichen zu senden? Bereits zweimal habe ich Post geschickt und keine Antwort erhalten. Bei allem, was ich bereits für Euch getan habe und weiterhin zu tun bereit bin, stimmt mich Eure Gleichgültigkeit traurig. Sagt mir den Grund dafür, liebster Christian, warum Ihr Eure zärtliche Freundin und großzügige Gönnerin so schmählich im Stich lasst.
Lasst Euch gesagt sein, dass der Zorn eines jungen Königs nicht ewig währt. Allein meine herzliche Zuneigung zu Euch wird niemals enden.
Marguerite de Fador
Christian ließ den Brief auf den Schreibtisch sinken und sah nachdenklich auf das Gemälde seiner Mutter, das ihn von seinem Platz über dem Kamin herab anblickte.
Mama hatte Mme de Fador nie gemocht – kein Wunder. Die schöne Marguerite war die Geliebte von Christians Vater gewesen, des Comte Bernard de Saumurat. Ein Mann, der am Hofe Ludwigs XIII. und später unter der Regentschaft Annas von Österreich eine wichtige Rolle gespielt hatte. Eine Rolle, die sein Sohn Christian nach dem Tod des Vaters ebenfalls zu spielen gedachte – am Hof des jungen Königs, Ludwig XIV. Doch es war anders gekommen. Nach anfänglich raschem Aufstieg hatte ihn ein einziger unbedachter Satz seine Karriere gekostet.
„Er tanzt so elegant wie ein Bär in Stulpenstiefeln.“
Diese Bemerkung über die Tanzkünste des jungen Ludwigs war dem König überbracht worden, und der eitle Herrscher hatte Christian von diesem Tag an seine Gunst entzogen. Enttäuscht und zornig war Christian auf seine Besitztümer in der Normandie gereist.
Den Rat seiner Gönnerin Mme de Fador, sich dem König untertänig zu Füßen zu werfen und seine gnädige Verzeihung zu erbitten, befolgte er nicht. Er war der Comte Christian de Saumurat, Sohn eines alten normannischen Adelsgeschlechtes, das schon unter Wilhelm dem Eroberer gekämpft hatte. Er war kein Speichellecker.
Ein langer Winter auf Schloss Saumurat hatte ihn jedoch gelehrt, dass das Landleben alles andere als abwechslungsreich war. Zuerst hatte er sich der Jagd ergeben und Spaß daran gehabt, seine Reitkünste zu erproben. Dann hatte ihn die Bibliothek seiner Mutter gefesselt, und er war in ferne Zeiten und Länder abgetaucht. Später hatte er gemeinsam mit René und Claude den Weinkeller durchforscht und zahlreiche, immer verrücktere Unternehmungen gestartet: Nächtliche Ritte in Vermummung, die die braven Dorfbewohner zu Tode erschreckten, wilde Reiterspiele mit hölzernen Lanzen und Schildern, lebensgefährliche Floßfahrten auf dem Flüsschen zu Füßen des Schlosses.
Auch hatte René so manche dralle, blonde Dorfschönheit aufs Schloss gelockt, und man hatte sich fröhlichen Badezeremonien und anderen Vergnügungen hingegeben. Die Mädchen zeigten sich willig, viel zu willig, und Christian langweilte sich bald. Jetzt war es Frühling, und er spürte, dass er es nicht mehr länger aushalten würde.
Frankreichs Herz schlug in Paris. Und Christian wollte diesem Herzen nahe sein. Aus der Schreibmappe zog er entschlossen ein Blatt
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