Der Graf und die Diebin
geben, sie würde die Wäsche bezahlen müssen.
„Mutter?“ Fassungslos stand das Mädel, als Marthe ihr den Sack reichte.
„Geh“, sagte Marthe zu ihr. „Geh deiner Wege. Du wirst schon durchkommen. Bist ja nicht dumm. Geh und komm nie wieder.“
Jeanne nahm das Bündel und stand einen Moment wie erstarrt, als könnte sie nicht begreifen. „Gehen? Aber wohin soll ich denn gehen?“
Marthe machte eine ungeduldige Geste. Sollte sie ihr auch noch den Weg weisen? Bei ihrer Seligkeit, das würde sie nicht tun. „Gott der Herr wird es dir schon sagen. Geh jetzt, bevor Pierre vom Feld zurückkommt.“
Jeanne begriff, dass die Mutter es ernst meinte. Sie hatte ab jetzt allein für sich zu sorgen. Es war das, was sie sich insgeheim gewünscht hatte, trotzdem war es bitter, so fortgeschickt zu werden. Marthe war eine harte Frau, aber sie war ihre Mutter und der einzige Mensch auf der Welt, den sie liebte.
Wortlos wandte sie sich zur Tür. Auf der Schwelle drehte sie sich noch einmal um, doch die Mutter war aus der Küche gegangen. Sie wollte keine Tränen sehen. Jeanne lud sich das Bündel auf die Schulter und ging.
Die Abendsonne stand so tief, dass man hätte glauben können, die rote Scheibe läge auf dem Hügel, um sich dort von der Mühe des Tages auszuruhen. Rötlicher Schein beleuchtete die erschöpften Gesichter der Knechte und Mägde, die von der Feldarbeit heimkehrten. Auf dem Hof des reichsten Bauern von Kerriac war bereits die Abendsuppe im Kessel zubreitet und das Brot geschnitten. Doch keiner hatte bisher an dem langen Tisch in der Küche Platz genommen, denn im Hof spielte sich ein spannendes Schauspiel ab.
„Nein!“
Das breite Gesicht des Bauern verzog sich zu einem lüsternen Grinsen. Er fasste Jeanne beim Arm und zog sie zu sich heran. Fest legte sich seine Hand um ihr Mieder, fühlte die schwellenden Brüste der jungen Frau, und sein Ton wurde weich und schmeichelnd.
„Nun komm schon. Kannst dich satt essen und bekommst eine weiche Lagerstatt.“
Jeannes Augen blitzten wütend, mit einer raschen Bewegung riss sie sich los und wich drei Schritte zurück. Der vierschrötige Mann war überrascht – er hatte nicht gedacht, dass sie so wendig war.
„Ich will mein Geld! Vier Sous waren ausgemacht. Dafür habe ich den ganzen Tag gearbeitet.“
„Das Geld bekommst du morgen.“
„Ich will es jetzt!“
„Jetzt habe ich keines. Sei jetzt still und mach kein Geschrei. Wir werden uns schon einig werden.“
Aber die junge Frau stampfte wütend mit dem Fuß auf und ließ nicht locker. Ihr Geld wollte sie. Sofort. Und sein Nachtlager könne er sich sonst wohin stecken.“
Schließlich hatte er genug. Mit einem herrischen Wink vertrieb er das Gesinde, das sich neugierig um sie versammelt hatte. Musste er sich das auf seinem eigenen Hof gefallen lassen? Von einer dahergelaufenen Zigeunerin? Er, der reichste Bauer von Kerriac! „Verschwinde von meinem Hof! Oder du beziehst eine Tracht Prügel!“
„Betrüger! Lügner!“
Er ließ sie stehen und ging ärgerlich zum Haus hinüber. So eilig hatte er es, dass er fast auf eines der Hühner getreten wäre, die pickend und scharrend auf dem Hof umherliefen. Es rettete sich auf den Misthaufen, plusterte sich dort auf und gackerte empört.
Jeanne starrte dem Bauern nach, sie war den Tränen nah, und gleichzeitig erfüllte sie eine ungeheure Wut. Sie hatte den ganzen Tag auf dem Feld gearbeitet und keinen Bissen zu essen bekommen. Nur einmal hatte eine der Mägde ihr mitleidig ein Stückchen Brot zugesteckt. Und jetzt wollte er ihr nichts dafür geben.
„Dann nehme ich das Huhn als Lohn“, rief sie trotzig und packte das Federvieh am Hals. Das Huhn schlug wild mit den Flügeln und gackerte, die Knechte und Mägde machten große Augen und schauten ängstlich auf den Bauern, der kurz vor der Haustür stehen geblieben war.
„Was steht ihr da rum? Nehmt es ihr ab!“
Das Gesinde stürzte sich auf Jeanne, die mit ihrem Huhn zur Dorfstraße flüchtete. Es war ein rechter Spaß für die jungen Burschen, sie ließen dem Mädel einen kleinen Vorsprung, feixten und winkten sich zu. Dann war Jeanne auf einmal von allen Seiten umringt.
Keuchend stand sie auf der staubigen Straße, zwei Burschen hielten ihre Arme umklammert, ein dritter hatte in ihr Haar gegriffen, ein anderer hielt sie am Rock gepackt. Das Huhn flüchtete gackernd davon, schlüpfte unter einem Zaun durch und war gerettet.
Sie wehrte sich immer noch, wand sich unter dem harten
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