Der Graf und die Diebin
kein gutes Gefühl bei diesen Fragen. „Aus einem kleinen Dorf ganz in der Nähe.“
Marguerite schüttelte den Kopf. Ein Bauernmädel? Sehr unwahrscheinlich. Sie hatte die Kleine beobachtet, während sie neben Christian einherschritt. Sie hatte Haltung, eine natürliche Gelassenheit. Und sie hatte eine Art sich zu bewegen, die Männer faszinierte. Eine gefährliche Kombination. Jetzt begriff sie, weshalb Christian alle Pläne umgeworfen hatte und nicht nach Paris gereist war. Dieses Spielzeug würde er nicht so einfach aus den Händen geben.
„Ich will mit ihr sprechen.“
Bertrand verneigte sich und ging, um den Befehl auszuführen. Schon wenige Minuten später erschien er wieder an der Tür. Sein Gesicht war unbeweglich. „Ich bin untröstlich, Madame. Mademoiselle Jeanne lässt ausrichten, sie sehe sich außerstande, Euch aufzusuchen.“
Marguerites Augen weiteten sich für den Bruchteil einer Sekunde. Das war stark. Das Bauernmädel weigerte sich, ihrem Befehl zu gehorchen. Was für eine Dreistigkeit. „Und weshalb?“, fragte sie nervös.
„Sie müssen verstehen, Madame. Sie ist ein einfaches Kind vom Land – adelige Herrschaften schüchtern sie ein.“
Marguerite lachte kurz auf. Ein Kind vom Lande – möglich. Schüchtern hatte sie ganz und gar nicht gewirkt. So leicht würde sie ihr nicht davonkommen. „Führe mich zu ihr!“
Jeanne saß an einem kleinen Tisch über ein Buch gebeugt. Als die Tür sich öffnete, und die kostbar gekleidete Dame in ihr Zimmer trat, war sie so überrascht, dass sie unbeweglich sitzen blieb.
Marguerite de Fador lächelte.
„Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, dann muss der Berg eben zum Propheten eilen“, sagte sie. „Mein liebes Kind – ich habe drei Takte mit dir zu reden.“
Jeanne erhob sich. Sie hatte noch nie zuvor eine so schöne und prächtig gekleidete Dame gesehen. Doch es war nicht das Kleid oder die Frisur, die sie beeindruckten. Es war die Verschmelzung. Die Kleider waren ein Teil dieser Dame, sie bewegte sich in ihnen mit größter Natürlichkeit wie in einer zweiten Haut.
„Ich.... bin erstaunt, Madame....wir kennen uns nicht.“
Marguerite ließ sich auf einem kleinen Sofa nieder, wobei sie ihren weiten Rock mit einer leichten, lässigen Handbewegung drapierte.
„Ich bin Marguerite de Fador – eine gute Bekannte des Comte aus Paris“, erklärte sie bereitwillig und lächelte Jeanne an. „Mein Besuch hier ist rein zufällig – ich bin auf der Durchreise und meine Kutsche hat einen Defekt. Eine gute Gelegenheit, einen alten Freund zu besuchen, habe ich mir gedacht.“
Jeanne schwieg und hörte dem Geplauder der Dame zu. Aus Paris kam sie – kein Wunder, dass sie so schön und so elegant war. Wie zierlich ihre Bewegungen waren, wie gekonnt geschminkt ihre Augen und ihr Mund. Es konnte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie nicht mehr ganz jung war.
„Ich habe eine seltsame Angewohnheit, liebes Kind“, fuhr Marguerite fort, ohne Jeanne aus den Augen zu lassen. Das Mädel war neugierig. Und keineswegs dumm. Ob sie in jenem Buch etwa gelesen hatte?
„Ich nehme hin und wieder ein junges Ding in meinem Haus auf, biete ihr eine konvenable Erziehung und lasse sie an meinem Leben teilhaben“, erklärte sie freundlich. „Nicht wenige junge Mädchen haben durch meine Protektion hervorragende Partien gemacht. Ich habe einen großen Bekanntenkreis in Paris, meine liebe Jeanne.“
„Sie kennen meinen Namen, Madame?“
„Ich habe mich erkundigt. Mein guter Freund, der Comte, ist deines Lobes voll. Ich glaube, du hättest es verdient, ein besseres Leben zu führen, als es dir durch deine Geburt bestimmt ist. Deine Eltern sind Bauern?“
Jeanne war verwirrt. Christian hatte eher den Eindruck erweckt, dass der Besuch dieser Frau ihm unangenehm war. Warum war sie jetzt so freundlich zu ihr? Weshalb dieses Angebot? Und warum hatte Christian über sie, Jeanne, mit dieser Frau gesprochen? „Meine Eltern wohnen in einem kleinen Dorf, nicht weit von hier.“
„Und sie sind beide aus der Gegend?“
Die Kleine errötete und schaute unwillig. Aha – da stimmte etwas nicht. Ganz ohne Zweifel war da ein kleiner faux pas geschehen, über den sie nicht sprechen wollte. Nun ja, man konnte später darauf zurückkommen.
„Meine Eltern sind beide aus Kerrignan, Madame“, beharrte Jeanne, und ihre Miene verfinsterte sich noch mehr.
Was hatte sie so viel zu fragen, diese Dame aus Paris? Sie war ihr unsympathisch. Sie hatte etwas vor, das
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