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Der Graf von Monte Christo 1

Der Graf von Monte Christo 1

Titel: Der Graf von Monte Christo 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandre Dumas
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worden.«
    »Ich weiß es, mein Herr«, antwortete Villefort, »und ich will ihn gerade verhören.«
    »Oh, Herr von Villefort«, fuhr der Reeder fort, »Sie kennen den Beschuldigten nicht, ich aber kenne ihn. Er ist der ruhigste, rechtschaff enste Mensch auf der Welt, und ich möchte fast sagen, der Mann, der von der ganzen Handelsmarine sein Fach am besten versteht. Oh, Herr von Villefort, ich empfehle Ihnen den jungen Mann aufrichtig und von ganzem Herzen.«
    Villefort gehörte, wie man hat sehen können, der adligen Partei der Stadt an und Morrel der Volkspartei; erstere war streng royalistisch, letztere stand im Verdacht des geheimen Bonapartismus. Villefort sah Morrel geringschätzig an und antwortete kühl:
    »Sie wissen, mein Herr, daß man im Privatleben ruhig, rechtschaf-fen in seinen geschäftlichen Angelegenheiten, geschickt in seinem Fach und trotzdem ein großer Verbrecher sein kann, politisch gesprochen. Sie wissen es, nicht wahr, mein Herr?«
    Der Beamte legte besonderen Nachdruck auf die letzten Worte, als ob er sie auf den Reeder selbst anwenden wollte, während sein forschender Blick bis in die Tiefe des Herzens dieses Mannes dringen zu wollen schien, der so kühn war, sich für einen andern zu verwenden, obwohl er wissen mußte, daß er selbst der Nachsicht bedurfte.
    Morrel errötete, denn er fühlte in bezug auf politische Ansichten sein Gewissen nicht ganz rein, und zudem hatte die Mitteilung Dantès’ über seine Begegnung mit dem Großmarschall und die Worte, welche der Kaiser gesprochen hatte, ihn etwas beunruhigt.
    Trotzdem fügte er im Ton der wärmsten Teilnahme hinzu:
    »Ich bitte Sie inständig, Herr von Villefort, seien Sie gerecht, wie Sie es sein müssen, gut, wie Sie es immer sind, und geben Sie uns schnell den armen Dantès wieder.«
    Das »geben Sie uns« klang revolutionär an das Ohr des Zweiten Staatsanwalts.
    Ei, ei! sagte er zu sich. Geben Sie uns … Sollte dieser Dantès irgendeinem Bunde der Carbonari angehören, weil sein Beschützer so unwillkürlich in der Mehrzahl spricht? Sagte nicht der Kommissar, daß er ihn in einem Wirtshaus in einer zahlreichen Gesellschaft verhaftet habe? Es wird wohl eine Versammlung von Verschwörern gewesen sein.
    Laut antwortete er dann:
    »Mein Herr, Sie können vollständig ruhig sein und werden nicht umsonst an meine Gerechtigkeit appelliert haben, wenn der Verhaftete unschuldig ist; ist er dagegen schuldig – wir leben in einer bewegten Zeit, mein Herr, in der Strafl osigkeit ein verhängnisvolles Beispiel wäre –, ich werde also gezwungen sein, meine Pfl icht zu tun.«
    Sie waren jetzt vor der Wohnung des Zweiten Staatsanwalts angekommen, die neben dem Justizpalast lag. Der Staatsanwalt trat majestätisch ein, nachdem er sich von dem unglücklichen Reeder mit eisiger Höfl ichkeit verabschiedet hatte. Herr Morrel blieb wie versteinert auf der Stelle stehen, wo Villefort ihn verlassen hatte.
    Das Vorzimmer war voll von Gendarmen und Polizeibeamten, in deren Mitte, mit haßerfüllten Blicken bewacht, ruhig und unbeweglich der Gefangene stand.
    Villefort durchschritt das Vorzimmer, warf einen Seitenblick auf Dantès, und nachdem er von einem Beamten ein Paket Papiere empfangen hatte, verschwand er, indem er befahl:
    »Man führe den Gefangenen vor.«
    So rasch der Blick gewesen war, so hatte er doch für Villefort ge-nügt, um sich eine Vorstellung von dem Manne zu machen, den er verhören wollte. Er erkannte die Intelligenz in dieser breiten und freien Stirn, den Mut in diesen festen Augen und den zusammen-gezogenen Brauen und die Freimütigkeit in diesen vollen, halbge-
    öff neten Lippen, die eine doppelte Reihe elfenbeinweißer Zähne sehen ließen.
    Der erste Eindruck war also für Dantès günstig gewesen, aber Villefort wollte sich nicht durch den ersten Eindruck leiten lassen.
    Er legte vor dem Spiegel sein Gesicht für die großen Tage an und setzte sich fi nster und drohend an seinen Schreibtisch.
    Einen Augenblick darauf trat Dantès ein.
    Der junge Mann war noch immer bleich, aber er wirkte ruhig und lächelte. Er grüßte den Staatsanwalt mit ungezwungener Höfl ichkeit und suchte dann mit den Augen einen Sitz, als ob er sich im Salon des Reeders befände.
    Dann aber begegnete er dem glanzlosen Blick Villeforts, jenem den Richtern eigentümlichen Blick, der nicht verraten soll, welche Gedanken dahinter liegen, und er erkannte, daß er vor dem fi nsteren Bilde der Justiz stand.
    »Wer sind Sie und wie heißen Sie?« fragte

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