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Der Graf von Monte Christo 1

Der Graf von Monte Christo 1

Titel: Der Graf von Monte Christo 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandre Dumas
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des Stuhles stützend, auf dem das Mädchen saß:
    »Um Ihnen Kummer zu ersparen, werde ich tun, was ich kann, teure Renée; aber wenn die Beweise stimmen, wenn die Beschuldigung wahr ist, muß dieses bonapartistische Unkraut ausgerottet werden.«
    Renée zitterte bei dem Wort; denn das Unkraut, welches ausgerottet werden sollte, war ein Mensch.
    »Pah«, sagte die Marquise, »hören Sie doch nicht auf dieses kleine Mädchen, Villefort; sie wird sich daran gewöhnen.«
    Und die Marquise hielt Villefort eine trockene Hand hin, die er küßte, wobei seine Augen zu Renée sagten: Ihre Hand küsse ich oder möchte ich wenigstens in diesem Augenblicke küssen!
    »Traurige Vorzeichen!« sagte Renée leise.
    »Wahrhaftig, Renée«, meinte die Marquise, »du bist entsetzlich kindisch; ich bitte dich, was kann das Schicksal des Staates mit deiner Gefühlsphantasterei und Sentimentalität zu tun haben?«
    »O Mutter!« fl üsterte das junge Mädchen.
    »Gnade für die schlechte Royalistin, Frau Marquise«, sagte Villefort;
    »ich verspreche Ihnen, meine Pfl icht als Staatsanwalt gewissenhaft zu erfüllen, das heißt, furchtbar streng zu sein.«
    Zu gleicher Zeit aber warf er verstohlen einen Blick auf seine Braut, und dieser Blick sagte: Seien Sie ruhig, Renée, um Ihrer Liebe willen werde ich nachsichtig sein!
    Renée beantwortete diesen Blick mit ihrem holdesten Lächeln, und Villefort ging mit einem Herzen voller Freude.
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    Kaum hatte Villefort den Speisesaal verlassen, so legte er seine heitere Maske ab, um die Miene eines Mannes anzunehmen, der zu dem hohen Amt berufen ist, über Leben und Tod seiner Mitmenschen zu entscheiden. Aber trotz der Beweglichkeit seines Gesichtsausdrucks, die der Zweite Staatsanwalt, wie es sich für einen geschickten Schauspieler gehört, mehr als einmal vor seinem Spiegel geübt hatte, war es diesmal eine Arbeit für ihn, ein strenges und fi nsteres Gesicht zu machen; denn, abgesehen von der Erinnerung an die politische Stellung seines Vaters, die, wenn er sich nicht vollständig davon lossagte, seine Zukunft scheitern machen konnte, war Gérard von Villefort in diesem Augenblick so glücklich, wie ein Mensch es sein kann: Von Haus aus vermögend, nahm er mit siebenundzwanzig Jahren eine hohe Beamtenstellung ein; er heiratete ein junges und schönes Mädchen, das er liebte – nicht leidenschaftlich, sondern mit Vernunft, wie ein Staatsanwalt lieben kann –, und diese Heirat war von dem größten Vorteil für ihn, denn Fräulein von Saint-Méran gehörte einer der besten Familien an, und abgesehen von dem Einfl uß ihrer Eltern bei Hofe, der, da sie keine anderen Kinder hatten, ausschließlich für ihren Schwiegersohn verwendet werden konnte, brachte die Braut ihrem Gatten eine Mitgift von fünfzigtausend Talern in die Ehe mit hinein, die sich dereinst noch um ein Erbteil von einer halben Million vermehren würden.
    An der Tür traf er den Polizeikommissar, der auf ihn wartete. Der Anblick dieses Mannes in Schwarz versetzte ihn sofort aus dem dritten Himmel wieder mitten auf unsere alltägliche Erde; er setzte ein ernstes Gesicht auf und sagte, an den Justizbeamten herantretend:
    »Da bin ich, mein Herr; ich habe den Brief gelesen, und Sie haben gut daran getan, den Mann zu verhaften. Jetzt berichten Sie mir über ihn und die Verschwörung alles, was Sie in Erfahrung gebracht haben.«
    »Über die Verschwörung, Herr von Villefort, wissen wir noch nichts; sämtliche bei dem Mann beschlagnahmten Papiere sind in ein Paket gepackt und versiegelt auf Ihren Schreibtisch gelegt worden. Was den Beschuldigten betriff t, so ist es, wie Sie aus dem Brief ersehen haben, ein gewisser Edmund Dantès, Erster Offi zier an
    Bord des Dreimasters ›Pharao‹, der Baumwolle aus Alexandria und Smyrna zu transportieren pfl egt und dem Hause Morrel und Sohn in Marseille gehört.«
    »Hatte er, ehe er in die Handelsmarine trat, in der Kriegsmarine gedient?«
    »O nein, Herr von Villefort; es ist ein ganz junger Mann.«
    »Wie alt?«
    »Höchstens neunzehn oder zwanzig Jahre.«
    Sie waren in diesem Augenblick an der Ecke der Rue des Conseils angekommen, wo ein Mann, der auf sie gewartet zu haben schien, an sie herantrat. Es war Herr Morrel.
    »Ah, Herr von Villefort!« rief der Reeder. »Ich freue mich sehr, Sie zu treff en. Denken Sie sich, daß man das seltsamste und unerhörteste Versehen begangen hat: Der Erste Offi zier meines Schiff es, Edmund Dantès, ist soeben verhaftet

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