Der Graf von Monte Christo
Cucumetto schien auch wirklich den Bitten seines Freundes nachzugeben. Da trat Carlini freudig zu seiner Geliebten, sagte ihr, sie sei gerettet, und forderte sie auf, ihrem Vater einen Brief zu schreiben und ihm zu sagen, das Lösegeld sei auf dreihundert Piaster festgesetzt. Man gab dem Vater eine Frist bis zum andern Morgen um neun Uhr.
Sobald der Brief geschrieben war, lief Carlini fort, um einen Boten zu suchen. Er fand einen jungen Hirten, der sich sogleich mit dem Versprechen entfernte, in einer Stunde in Frosinone zu sein. Carlini kam ganz heiter zurück, um wieder mit seiner Geliebten zusammenzutreffen und ihr die frohe Kunde mitzuteilen. Er fand die Bande auf einer Lichtung, wo sie lustig die Mundvorräte verzehrte, welche die Banditen wie einen Tribut von den Bauern erhoben; doch vergebens suchte er unter den fröhlichen Gästen Cucumetto und Rita. Er fragte, wo sie wären; die Banditen antworteten mit einem schallenden Gelächter. Ein kalter Schweiß lief Carlini über die Stirn, und er fühlte, wie ihn die Angst bei den Haaren faßte. Er wiederholte seine Frage. Einer von den Genossen füllte ein Glas mit Orvieto-Wein, reichte es ihm und sagte: Auf die Gesundheit des braven Cucumetto und der schönen Rita!
In diesem Augenblick glaubte Carlini den Schrei einer Frau zu hören, und er erriet alles. Er nahm das Glas, zerschmetterte es am Gesichte dessen, der es ihm reichte, und eilte in der Richtung des Schreies fort. Nachdem er hundert Schritte gelaufen war, fand er in einem Gebüsche Rita ohnmächtig in Cucumettos Armen. Als dieser Carlini erblickte, erhob er sich, in jeder Hand eine Pistole haltend. Die Banditen schauten einander einen Augenblick an, der eine mit dem Lächeln der Unzucht auf den Lippen, der andre mit der Blässe des Todes auf der Stirn. Es war, als sollte etwas Furchtbares zwischen den beiden Männern vorgehen, aber allmählich verloren Carlinis Züge ihre Spannung, und seine Hand, die er an eine Pistole in seinem Gürtel gelegt hatte, fiel an der Seite nieder; Rita lag zwischen beiden. Der Mond beleuchtete die Szene.
Nun! sagte Cucumetto, hast du deinen Auftrag besorgt?
Ja, Kapitän, antwortete Carlini; morgen vor neun Uhr wird Ritas Vater mit dem Gelde hier sein.
Vortrefflich. Inzwischen wollen wir die Nacht lustig zubringen. Das Mädchen ist reizend, und du hast wahrhaftig einen guten Geschmack, Carlini. Da ich nicht eigennützig bin, so wollen wir zu den Kameraden zurückkehren und das Los ziehen, wem sie nun gehören soll.
Ihr seid also entschlossen, sie allen zu überantworten? fragte Carlini.
Warum sollte man bei ihr eine Ausnahme machen? – Ich glaubte auf meine Bitte ... – Bist du etwa mehr, als die andern? – Das ist richtig. – Doch sei unbesorgt, früher oder später kommt ja auch die Reihe an dich.
Bei diesen Worten preßte Carlini krampfhaft die Zähne zusammen.
Nun vorwärts, sagte Cucumetto, einen Schritt nach den Genossen zu machend, kommst du?
Ich folge Euch.
Cucumetto entfernte sich, jedoch ohne Carlini aus dem Gesichte zu verlieren, denn er fürchtete ohne Zweifel, er könnte von hinten auf ihn schießen; doch nichts deutete bei dem Banditen eine feindselige Absicht an. Er stand mit gekreuzten Armen bei der immer noch ohnmächtigen Rita. Einen Augenblick dachte Cucumetto, der junge Mann würde sie in seine Armen nehmen und mit ihr fliehen. Es war ihm nun auch wenig mehr daran gelegen, denn er hatte von Rita, was er haben wollte, und auch das geringe Lösegeld ließ ihn gleichgültig. Er setzte daher seinen Weg nach der Lichtung fort, ohne umzuschauen; doch zu seinem großen Erstaunen kam Carlini beinahe mit ihm hier an. Das Los gezogen! riefen die Banditen, als sie ihren Anführer erblickten. Man legte alle Namen, den Carlinis wie die der andern, in einen Hut, und der jüngste der Bande zog ein Zettelchen aus der improvisierten Urne. Auf diesem Zettelchen stand der Name Diavolaccio. Es war derselbe, dem Carlini, als er ihm auf die Gesundheit des Anführers zutrank, das Glas im Gesichte zerschmettert hatte. Als Diavolaccio sich so vom Glücke begünstigt sah, brach er in ein schallendes Gelächter aus.
Alle glaubten, Carlini werde losbrechen; aber zum allgemeinen Erstaunen nahm er ein Glas und rief mit vollkommen ruhiger Stimme: Auf deine Gesundheit, Diavolaccio! und leerte das Glas, ohne daß seine Hand zitterte. Dann setzte er sich ans Feuer, aß und trank, als ob nichts vorgefallen wäre, während sich Diavolaccio entfernte.
Die Banditen
Weitere Kostenlose Bücher