Der Graf von Monte Christo
folgte ihm. Das Terrain vertiefte sich allmählich und wurde immer weiter, je mehr man vorrückte. Franz und der Graf waren jedoch genötigt, gebückt zu marschieren, und konnten nur mit Mühe nebeneinander gehen. Sie machten auf diese Weise noch ungefähr fünfzig Schritte, dann wurden sie durch den Ruf: Wer da? angehalten. Zu gleicher Zeit sahen sie inmitten der Finsternis den Lauf eines Karabiners im Schimmer ihrer eigenen Fackel aufblitzen.
Gut Freund! antwortete Peppino, und sagte einige Worte mit leiser Stimme zu der Schildwache, die, wie die erste, grüßte und dann den nächtlichen Gästen durch ein Zeichen bedeutete, sie könnten weitergehen. Hinter der Wache war eine Treppe von ungefähr zwanzig Stufen. Franz und der Graf stiegen die zwanzig Stufen hinab und befanden sich an einem Kreuzweg. Fünf Wege liefen wie Strahlen von dieser Stelle aus, und an den Wänden, in denen sargartige Nischen ausgegraben waren, erkannte man, daß man in den Katakomben angelangt war. In einer von diesen Höhlen, deren Ausdehnung sich nicht erkennen ließ, gewahrte man einige Lichtstrahlen. Der Graf legte die Hand auf Franzens Schulter und sagte: Wollen Sie ein Lager ruhender Banditen sehen, so folgen Sie mir! Peppino, lösche deine Fackel aus!
Peppino gehorchte, und Franz und der Graf befanden sich in der tiefsten Finsternis; nur tanzte fortwährend etwa fünfzig Schritte vor ihnen längs den Wänden ein rötlicher Schein nach dem andern hin. Sie rückten langsam vor, wobei der Graf Franz leitete, als besäße er die seltene Fähigkeit, in der Finsternis zu sehen. Drei Arkaden, von denen die mittlere als Tür zu betrachten war, gewährten ihnen Durchlaß. Diese Arkaden öffneten sich einerseits nach dem Gange, wo Franz und der Graf sich befanden, andererseits nach einem großen viereckigen Gemache, das ganz von Nischen, den vorhergehenden ähnlich, umgeben war. Mitten in diesem Gemach erhoben sich vier Steine, die einst als Altar gedient hatten, wie das überragende Kreuz andeutete. Eine einzige auf einem Säulenschafte stehende Lampe beleuchtete mit bleichem, flackerndem Lichte die seltsame Szene, die sich den Augen der im Schatten verborgenen Gefährten bot. Den Ellenbogen auf diese Säule gestützt, saß ein Mann und las, den Rücken den Arkaden zuwendend, durch deren Öffnung die Ankömmlinge ihn betrachteten. Es war der Anführer der Bande, Luigi Vampa. Ringsumher sah man in ihren Mänteln liegend oder an eine Steinbank gelehnt etwa zwanzig Räuber; jeder hatte seinen Karabiner im Bereiche der Hand. Im Hintergrunde ging schweigsam, kaum sichtbar und einem Schatten ähnlich, eine Schildwache vor einer Öffnung auf und ab, die man kaum zu unterscheiden vermochte.
Als der Graf glaubte, Franz hätte seine Blicke hinreichend an diesem malerischen Bilde geweidet, legte er den Finger an seine Lippen, um ihm Stillschweigen zu empfehlen, trat, die drei Stufen hinabsteigend, die von dem Gange ins Lager führten, durch die mittlere Arkade in das Gemach und ging auf Vampa zu, der so tief in das Lesen versunken war, daß er das Geräusch seiner Tritte nicht hörte.
Wer da? rief die Schildwache, die bei dem Schimmer der Lampe etwas wie einen Schatten sah, der hinter ihrem Hauptmann immer größer wurde. Bei diesem Ruf erhob sich Vampa rasch und zog gleichzeitig eine Pistole aus seinem Gürtel. In einem Augenblick waren alle Banditen auf den Beinen, und zwanzig Karabinerläufe richteten sich auf den Grafen.
Nun! sagte dieser mit vollkommen ruhiger Stimme und ohne daß eine Muskel seines Gesichtes sich rührte; nun, mein lieber Vampa, es scheint, Ihr macht Euch große Unkosten, um einen Freund zu empfangen.
'runter die Gewehre! rief der Anführer mit einem gebieterischen Zeichen einer Hand, während er mit der andern ehrfurchtsvoll seinen Hut abnahm. Dann, sich gegen den hinwendend, der diese ganze Szene beherrschte, sagte er: Verzeihen Sie, Herr Graf, aber ich war so weit entfernt, die Ehre Ihres Besuches zu erwarten, daß ich Sie nicht erkannte.
Es scheint, Ihr habt in allen Dingen ein kurzes Gedächtnis, Vampa, entgegnete der Graf, und Ihr vergeßt nicht nur das Gesicht der Menschen, sondern auch die Bedingungen, die Ihr mit ihnen eingegangen seid.
Welche Bedingungen habe ich vergessen, Herr Graf? fragte der Bandit, wie ein Mensch, dem alles daran liegt, einen etwa gemachten Fehler wieder gutzumachen.
Sind wir nicht miteinander übereingekommen, daß Euch nicht nur meine Person, sondern auch die meiner Freunde heilig sein
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