Der Graf von Monte Christo
ihm entgegen.
Ei! welcher gute Wind führt Sie zu dieser Stunde hierher? sagte er. Sollten Sie das Abendessen mit mir nehmen wollen? Das wäre sehr liebenswürdig.
Nein, ich komme wegen einer sehr ernsten Angelegenheit.
Wegen einer ernsten Angelegenheit! sagte der Graf, Franz mit dem ihm eigentümlichen tiefen Blicke anschauend; worum handelt es sich?
Franz übergab ihm Alberts Brief und sagte: Lesen Sie.
Ah! ah! rief der Graf.
Was sagen Sie dazu? fragte Franz.
Haben Sie die verlangte Summe? Es fehlen mir achthundert Taler.
Der Graf ging an einen Sekretär, öffnete ihn, zog eine Schublade voll Gold heraus und sagte zu Franz: Ich hoffe, daß Sie mir nicht die Beleidigung antun werden, sich an einen andern, als mich zu wenden?
Sie sehen im Gegenteil, daß ich gerade zu Ihnen gekommen bin.
Dafür danke ich; nehmen Sie. Und er ersuchte Franz, das Gold zu nehmen.
Ist es denn durchaus notwendig, diese Summe Luigi Vampa zu schicken? fragte der junge Mann, den Grafen ebenfalls fest anschauend.
Bei Gott! rief dieser, urteilen Sie selbst, die Nachschrift klingt sehr bestimmt.
Es scheint mir, wenn Sie ein wenig nachdenken wollten, würden Sie ein Mittel finden, das die Unterhandlung sehr vereinfachen müßte? entgegnete Franz.
Welches? fragte der Graf erstaunt.
Wenn wir zum Beispiel Luigi Vampa miteinander aufsuchten ... ich bin überzeugt, er schlüge es Ihnen nicht ab, Albert freizugeben.
Mir? Welchen Einfluß soll ich auf den Banditen ausüben?
Haben Sie ihm nicht einen von den Diensten geleistet, die man nie vergißt? – Einen Dienst?
Haben Sie nicht vor wenigen Tagen Peppino gerettet?
Ah! ah! rief der Graf, wer hat Ihnen das gesagt?
Was liegt daran? Ich weiß es.
Der Graf blieb einen Augenblick stumm.
Und wenn ich Vampa aufsuchte, würden Sie mich begleiten?
Falls Ihnen meine Gesellschaft nicht zu unangenehm wäre.
Gut! Es sei; das Wetter ist schön, ein Spaziergang nach der Campagna kann uns nur wohltun. Wo ist der Mensch, der diesen Brief gebracht hat? Auf der Straße.
Er muß hören, wohin wir gehen; ich werde ihn rufen.
Der Graf trat an das Fenster des Kabinetts, das nach der Straße ging, und pfiff auf eine besondere Weise. Der Mann mit dem Mantel entfernte sich von der Mauer und schritt bis in die Mitte der Straße vor.
Salite! sprach der Graf mit einem Tone, als gäbe er seinem Bedienten einen Befehl. Der Bote gehorchte, ohne zu zögern, ja sogar mit einem gewissen Eifer, sprang die vier Stufen der Freitreppe hinauf und trat in den Gasthof. Fünf Sekunden nachher war er an der Tür des Kabinetts.
Ah! Du bist es, Peppino, rief der Graf.
Doch statt zu antworten, warf sich Peppino auf die Knie, ergriff die Hand des Grafen und drückte seine Lippen wiederholt darauf.
Oh! sagte der Graf, du hast noch nicht vergessen, daß ich dir das Leben rettete! Das ist seltsam, es sind doch heute schon acht Tage vorüber.
Nein, Exzellenz, ich werde es nie vergessen, antwortete Peppino mit dem Tone der tiefsten Dankbarkeit.
Nie? Das ist sehr lange; doch schon genug, wenn du es nur glaubst. Steh auf und antworte.
Peppino warf einen unruhigen Blick auf Franz.
Oh! du kannst vor dem Herrn sprechen, versetzte der Graf, es ist einer meiner Freunde. Wie ist der Graf Albert in Luigis Hände gefallen?
Exzellenz, die Kalesche des Franzosen hat wiederholt den Wagen gekreuzt, worin Teresa saß.
Des Hauptmanns Geliebte?
Ja. Der Franzose liebäugelte mit ihr, Teresa machte sich den Spaß es zu erwidern: der Franzose warf ihr Sträuße zu und sie ihm, alles, wohlverstanden, mit Einwilligung des Hauptmanns, der sie, als Kutscher verkleidet, führte.
Und dann? fragte der Graf.
Nun, dann nahm der Franzose die Maske ab; Teresa tat dasselbe; der Franzose verlangte eine Zusammenkunft, Teresa sagte sie ihm zu; nur fand sich, statt Teresa, Beppo – verkleidet als Bäuerin – auf den Stufen der Kirche von San Giacomo ein; ein Wagen wartete am Ende der Via Macello, Beppo forderte den Franzosen auf, ihm zu folgen; er ließ sich dies nicht zweimal sagen und setzte sich neben ihn. Dieser sagte ihm nun, er führe ihn nach einer Villa, die eine Meile von der Stadt liege. Der Franzose versicherte Beppo, er sei bereit, ihm bis ans Ende der Welt zu folgen. Sogleich fuhr der Kutscher die Strada di Ripetta hinauf, erreichte die Porta di San Paolo, und als der Franzose, zweihundert Schritte in der Campagna, zu unternehmend wurde, setzte ihm Beppo ein paar Pistolen vor die Brust; rasch hielt der Kutscher seine Pferde an, wandte
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