Der Graf von Monte Christo
soll?
In welcher Beziehung habe ich mich gegen diesen Vertrag verfehlt, Exzellenz?
Ihr habt den Vicomte Albert von Morcerf entführt und hierher gebracht; nun, so wißt, fuhr der Graf mit einem Tone fort, der Franz erbeben ließ, dieser junge Mann gehört zu meinen Freunden, er wohnt in demselben Gasthofe wie ich, er hat acht Tage lang in meinem Wagen den Korso mitgemacht, und dessenungeachtet, ich wiederhole es, habt Ihr ihn entführt, hierher geschleppt und – der Graf zog den Brief aus der Tasche – ein Lösegeld wie für den nächsten besten festgesetzt.
Warum habt ihr mich nicht davon in Kenntnis gesetzt? sagte der Anführer, sich gegen seine Leute wendend, die sämtlich vor seinem Blicke zurückwichen; warum habt ihr mich dem ausgesetzt, daß ich mein Wort breche gegen einen Mann, der unser aller Leben in seinen Händen hat? Bei dem Blute Christi! Wenn ich dächte, einer von euch hätte gewußt, der junge Mann sei der Freund Seiner Exzellenz, ich würde ihm die Hirnschale zerschmettern.
Nun! sprach der Graf, sich an Franz wendend, ich sagte Ihnen, es walte irgend ein Irrtum ob.
Sind Sie nicht allein? fragte Vampa unruhig.
Die Person ist bei mir, an die der Brief gerichtet war; ich wollte ihr beweisen, daß Luigi Vampa ein Mann von Wort ist. Kommen Sie, Exzellenz, sagte er zu Franz, hier ist Luigi Vampa, der Ihnen selbst zu sagen wünscht, er sei in Verzweiflung über den Irrtum, den er begangen hat.
Franz näherte sich; der Banditenführer trat ihm entgegen und sagte: Seien Sie uns willkommen, Exzellenz; Sie haben gehört, was der Herr Graf sagte, und was ich antwortete; ich füge hinzu, gern gäbe ich viertausend Piaster her, könnte ich das Geschehene ungeschehen machen. Doch wo ist der Gefangene? versetzte Franz, unruhig umherschauend, ich sehe ihn nicht.
Es ist ihm hoffentlich nichts widerfahren, fragte der Graf, die Stirn faltend.
Der Gefangene ist dort antwortete Vampa, auf die Vertiefung deutend, vor welcher der Bandit als Schildwache auf und ab ging; ich werde ihm selbst ankündigen, daß er frei ist.
Der Anführer schritt dem von ihm bezeichneten Orte und zu, und Franz folgte ihm mit dem Grafen.
Der Graf und Franz stiegen, dem Hauptmann folgend, sieben bis acht Stufen hinauf; sobald Vampa einen Riegel gezogen und eine Tür aufgestoßen hatte, konnte man beim Schimmer einer Lampe Albert sehen, der, in einen Mantel gehüllt, in einem Winkel im tiefsten Schlafe lag. Sieh da, sagte der Graf mit eigentümlichem Lächeln, nicht übel für einen Menschen, der um sieben Uhr erschossen werden sollte.
Bampa schaute den schlafenden Albert mit einer gewissen Bewunderung an; man sah, daß er für einen solchen Beweis von Mut nicht unempfindlich war.
Sie haben recht, Herr Graf, sagte er, dieser Mann muß zu Ihren Freunden gehören. Dann, sich Albert nähernd und ihn an der Schulter berührend, fügte er hinzu: Exzellenz, ist's gefällig, aufzuwachen?
Ah! ah! sagte Albert, Ihr seid es, Hauptmann? Ihr hättet mich, bei Gott! sollen schlafen lassen; ich hatte einen entzückenden Traum; es träumte mir, ich tanze mit der Gräfin G…. Er zog seine Uhr, die man ihm gelassen hatte.
Halb zwei Uhr morgens ... warum zum Teufel weckt Ihr mich zu dieser Stunde?
Um Ihnen zu sagen, daß Sie frei sind, Exzellenz.
Mein Lieber, erwiderte Albert mit vollkommener Geistesfreiheit, befolgt künftig den Grundsatz des großen Napoleon! Weckt mich nur wegen schlimmer Nachrichten! Hättet Ihr mich schlafen lassen, so würde ich meinen Tanz fortgesetzt haben und wäre Euch mein Leben lang dankbar ... Man hat also mein Lösegeld bezahlt?
Nein, Exzellenz, einer, dem ich nichts verweigern kann, hat Sie zurückgefordert.
Ah! bei Gott, dieser jemand ist sehr liebenswürdig.
Albert schaute umher, erblickte Franz und rief: Wie, mein lieber Freund, Sie treiben die Ergebenheit so weit?
Nein, nicht ich, sondern der Herr Graf von Monte Christo.
Ah! bei Gott! Herr Graf, sagte Albert heiter, während er seine Krawatte und seine Manschetten ordnete, Sie sind wahrlich ein kostbarer Mann, und ich hoffe, daß Sie mich als Ihnen ewig verbunden ansehen werden. Er reichte dem Grafen die Hand, der sie bebend in die seine nahm.
Der Bandit sah mit erstaunter Miene zu; er war offenbar gewohnt, seine Gefangenen vor sich zittern zu sehen, und hier fand er einen, den seine heitere Laune nicht verlassen hatte. Franz war entzückt, daß Albert selbst einem Banditen gegenüber die Ehre der Nation aufrecht erhielt.
Mein lieber Albert,
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