Der Graf von Monte Christo
samtenen Lehnstuhl zurückgesunken war; in dem halbdunklen Gemache konnte man aber nichts deutlich erblicken, so konnte er auch das Gesicht der Gräfin nicht sehen, doch kam es ihm vor, als bebte ihre Stimme; auch drang durch die Wohlgerüche von Rosen und Heliotropen der herbe, beißende Geruch von Essigäther, und seiner ängstlichen Aufmerksamkeit entging das Flacon der Gräfin nicht, das auf dem Kamin stand.
Sie sind doch nicht wohl, teure Mutter! rief er eintretend.
Nein, Albert; aber du begreifst, diese Rosen, diese Hyacinthen, diese Orangenblüten strömen während der ersten Wärme so starke Wohlgerüche aus ...
Dann muß man sie in Ihr Vorzimmer bringen lassen, sagte Morcerf, mit der Hand nach der Glocke greifend. Sie sind in der Tat unpäßlich; schon vorhin, als Sie eintraten, waren Sie sehr bleich.
Ich war bleich, sagst du, Albert?
Sie waren von einer Blässe, die Ihnen sehr gut steht, meine Mutter, aber darum meinen Vater und mich nichtsdestoweniger erschreckt hat.
Sprach dein Vater mit dir darüber? fragte Mercedes rasch.
Nein, Mama, doch erinnern Sie sich, er hat Ihnen gegenüber selbst diese Bemerkung gemacht.
Ich erinnere mich dessen nicht, versetzte die Gräfin.
Ein Diener erschien und trug auf Alberts Geheiß die Blumen ins Vorzimmer.
Was für ein Name ist Monte Christo? fragte die Gräfin, nachdem sich der Diener entfernt hatte. Ist es ein Familienname oder nur ein Titel?
Ich glaube, es ist nur ein Titel. Der Graf hat eine Insel im toskanischen Archipel gekauft. Übrigens bildet er sich nichts auf den Adel ein und nennt sich einen Zufallsgrafen, obgleich in Rom allgemein die Ansicht herrscht, der Graf sei ein sehr vornehmer Herr.
Seine Haltung ist ausgezeichnet, sagte die Gräfin, wenigstens nach dem, was ich während der wenigen Augenblicke, die er hier war, beurteilen konnte.
Oh! sie ist ganz vollkommen, so vollkommen, daß sie bei weitem alles übersteigt, was ich Aristokratisches beim englischen, spanischen oder deutschen Adel gesehen habe.
Die Gräfin dachte einen Augenblick nach und fuhr dann nach diesem kurzen Zögern fort: Mein lieber Albert ... du hast Herrn von Monte Christo in seinem Heim gesehen, du bist mit der Welt vertraut und besitzest mehr Takt, als man in deinem Alter zu haben pflegt, glaubst du, daß der Graf wirklich ist, was er zu sein scheint?
Und was scheint er zu sein?
Du sagtest es soeben, ein vornehmer Herr.
Ich sagte Ihnen, man halte ihn dafür.
Und was denkst du davon, Albert?
Ich muß gestehen, ich habe keine bestimmte, abgeschlossene Ansicht über ihn; ich habe so viele seltsame Dinge von ihm gehört, daß ich, wenn ich sagen soll, was ich von ihm denke, Ihnen antworte, ich möchte den Grafen für einen Menschen nach Lord Byrons Art halten, dem das Schicksal einen unseligen Stempel aufgedrückt hat, für den Sprossen irgend einer alten Familie, der, seines väterlichen Vermögens enterbt, ein neues durch die Kraft seines abenteuerlichen Geistes fand, der ihn über die Gesetze der Gesellschaft stellte.
Du sagst? ...
Ich sage, Monte Christo ist eine Insel im Mittelländischen Meere, ohne Bewohner, ohne Garnison, ein Schlupfwinkel für Schmuggler und Piraten. Wer weiß, ob diese würdigen Gewerbsleute ihrem Herrn nicht eine Abgabe zahlen?
Es ist möglich, sagte die Gräfin, in Sinnen verloren.
Doch gleichviel, versetzte der junge Mann, Schmuggler oder nicht, Sie werden zugestehen, meine Mutter, da Sie es selbst gesehen haben, der Herr Graf von Monte Christo ist ein merkwürdiger Mann, und seine Erscheinung in den Salons von Paris wird von dem glänzendsten Erfolg begleitet sein. Schon heute hat er bei mir seinen Eintritt in die Welt damit begonnen, daß er sogar Chateau-Renaud in das höchste Erstaunen versetzte.
Wie alt kann der Graf sein? sagte Mercedes, sichtbar ein großes Gewicht auf diese Frage legend.
Fünfunddreißig bis sechsunddreißig Jahre, meine Mutter.
So jung! Das ist unmöglich, sagte Mercedes, zugleich auf Alberts Worte und ihre eigenen Gedanken erwidernd.
Es ist dennoch wahr, drei- oder viermal äußerte er, und gewiß ohne Vorbedacht: damals war ich fünf Jahre, damals zehn, zu jener Zeit zwölf Jahre alt. Meine Neugierde achtete auf diese Einzelheiten, ich stellte die Daten zusammen, und nie fand ich einen Widerspruch bei ihm. Das Alter dieses seltsamen Mannes, der eigentlich kein Alter hat, ist nach meiner festen Überzeugung fünfunddreißig Jahre. Erinnern Sie sich überdies, meine Mutter, wie lebhaft sein Auge ist, wie
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