Der Graf von Monte Christo
üppig und ungebleicht seine Haare, und wie runzelfrei seine edle Stirn; er besitzt nicht nur einen kräftigen, sondern auch noch einen jungen Körper.
Die Gräfin senkte das Haupt wie unter dem Druck schwerer, bitterer Gedanken.
Und dieser Mann hat ein Gefühl der Freundschaft für dich gefaßt, Albert? fragte sie in bebendem Tone, und du liebst ihn?
Er gefällt mir, Mutter, was auch Franz d'Epinay sagen mag, dem er als unheimliches, einer andern Welt entstammendes Wesen erscheint.
Die Gräfin machte eine Bewegung des Schreckens und sagte stotternd: Albert, stets war ich bemüht, dir Behutsamkeit gegen neue Bekanntschaften zu empfehlen. Nun bist du ein Mann und könntest mir Ratschläge geben, dennoch wiederhole ich dir, sei klug. Albert.
Liebe Mutter, wenn nur dieser Rat Nutzen bringen sollte, so müßte ich zum voraus wissen, wogegen sich mein Mißtrauen zu richten hätte. Der Graf spielt nie, der Graf trinkt nur durch einen Tropfen spanischen Wein vergoldetes Wasser, der Graf ist so reich, daß er, ohne sich ins Gesicht lachen zu lassen, kein Geld von mir entlehnen könnte; was soll ich also von ihm befürchten?
Du hast recht, meine Furcht ist töricht, besonders da sie einen Mann zum Gegenstand hat, der dir das Leben rettete. Doch sprich, hat ihn dein Vater gut ausgenommen? Es ist wünschenswert, daß wir auf recht gutem Fuße mit dem Grafen stehen. Herr von Morcerf ist zuweilen sehr beschäftigt, seine Angelegenheiten bereiten ihm Sorgen, und es könnte sein, daß er, ohne zu wollen ...
Mein Vater war, wie man es nur immer wünschen konnte; ich sage noch mehr, er schien geschmeichelt durch ein paar sehr geschickte Komplimente, die der Graf sehr glücklich und passend einfließen ließ, als kennte er ihn seit dreißig Jahren. Jeder von diesen Lobpfeilen mußte meinen Vater kitzeln, fügte Albert lachend hinzu. Sie trennten sich als die besten Freunde der Welt, und Herr von Morcerf wollte ihn sogar in die Kammer mitnehmen, um ihn seine Rede hören zu lassen.
Die Gräfin antwortete nicht, sie war in so tiefe Träumerei versunken, daß sich ihre Augen allmählich geschlossen hatten. Vor ihr stehend, betrachtete sie der junge Mann mit jener Sohnesliebe, die besonders zärtlich und innig bei Kindern ist, deren Mütter noch schön und jung sind. Als er sah, wie sich ihre Augen schlossen, als er sie eine Minute lang in ihrer sanften Unbeweglichkeit atmen hörte und sie entschlummert glaubte, entfernte er sich auf den Fußspitzen.
Dieser Teufelskerl, murmelte er, den Kopf schüttelnd, ich prophezeite ihm dort schon, er würde in der Welt Aufsehen machen; ich ermesse die Wirkung seiner Person nach einem untrüglichen Thermometer; meiner Mutter ist er aufgefallen, folglich muß er sehr merkwürdig sein. Und er ging in seinen Stall hinab, nicht ohne leisen Ärger darüber, daß sich der Graf, ohne nur daran zu denken, ein Gespann erworben hatte, das seine Braunen bei Kennern in die zweite Reihe schob.
Bertuccio.
Mittlerweile war der Graf in seiner Wohnung angelangt; er hatte sechs Minuten gebraucht, den Weg zurückzulegen. Diese sechs Minuten genügten, daß er von zwanzig jungen Leuten bemerkt wurde, die, bekannt mit dem Preise des Gespanns, das sie selbst nicht hatten kaufen können, ihre Rosse in Galopp setzten, um den glänzenden Herrn zu sehen, der sich Pferde im Werte von 20 000 Franken anschaffte.
Das von Ali gewählte Haus, das für Monte Christo als Pariser Residenz dienen sollte, lag rechts, wenn man die Champs-Elysées hinaufgeht, zwischen Hof und Garten. Eine üppige Baumgruppe, die sich mitten im Hofe erhob, verbarg einen Teil der Fassade. Das inmitten eines weiten Raumes vereinzelt stehende Haus hatte außer dem Haupteingang noch einen andern Eingang, der sich nach der Rue de Ponthieu öffnete.
Ehe der Kutscher den Pförtner angerufen hatte, drehte sich schon das massive Gittertor auf seinen Angeln; man hatte den Grafen kommen sehen, und er wurde in Paris, wie in Rom und überall, mit Blitzesschnelle bedient. Der Kutscher fuhr also hinein, beschrieb den Halbkreis, ohne den Gang seiner Pferde im geringsten zu hemmen, und die Räder krachten noch auf dem Sande der Allee, als bereits das Gitter wieder geschlossen war. Auf der linken Seite der Freitreppe hielt der Wagen an, zwei Männer erschienen am Schlage; der eine war Ali, der seinem Herrn mit unglaublich treuherziger Freude zulächelte und sich durch einen einzigen Blick von Monte Christo bezahlt fand. Der andere verbeugte sich in Demut und
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