Der Graf von Monte Christo
er mir Sie nach seiner Reise durch Frankreich im Jahre 1829 mit einem Empfehlungsbriefe zuschickte, worin er Ihre kostbaren Eigenschaften hervorhob. Gut, ich werde dem Abbéschreiben, ich werde ihn für seinen Schützling verantwortlich machen und ohne Zweifel erfahren, wie es sich mit dieser Mordgeschichte verhält. Ich mache Sie jedoch darauf aufmerksam, Bertuccio, daß ich mich immer, wo ich meinen Aufenthalt nehme, nach den Gesetzen des Landes zu richten pflege und keine Lust habe, mich Ihnen zu Liebe mit der französischen Justiz zu entzweien.
Oh! tun Sie das nicht, Exzellenz; nicht wahr, ich habe treu gedient? rief Bertuccio in Verzweiflung, ich bin immer ein ehrlicher Mann gewesen, und habe sogar, soviel ich vermochte, gute Handlungen verrichtet.
Ich leugne das nicht, doch warum zum Teufel gebärden Sie sich so? Das ist ein schlimmes Zeichen; ein reines Gewissen bringt nicht solche Blässe auf die Wangen, solches Fieber in die Hände ...
Aber, Herr Graf, versetzte Bertuccio zögernd, sagten Sie mir nicht selbst, es sei Ihnen vom Abbé Busoni, der mich im Gefängnis zu Nimes beichten hörte, mitgeteilt worden, ich hätte mir einen schweren Vorwurf zu machen?
Ja, doch da er Sie mit der Bemerkung, Sie würden ein vortrefflicher Intendant werden, zu mir sandte, so glaubte ich, Sie hätten gestohlen.
Oh! Herr Graf, rief Bertuccio mit Verachtung.
Oder als Korse hätten Sie der Begierde nicht widerstehn können, eine Haut zu machen, wie man in Ihrem Lande sonderbarerweise sagt, während man doch eine Haut vernichtet.
Nun ja, guter gnädiger Herr, ja, Exzellenz, so ist es, rief Bertuccio, sich dem Grafen zu Füßen werfend, ja, es ist eine Rache, das schwöre ich, nichts als eine Rache.
Ich begreife das, begreife aber nicht, warum Sie gerade dieses Haus in solche heftige Aufregung versetzt?
Ist das nicht natürlich, gnädigster Herr, da in diesem Hause die Rache vollführt wurde?
Wie, in meinem Hause?
Oh! Exzellenz, es gehörte Ihnen noch nicht.
Das ist ein seltsames Zusammentreffen. Sie befinden sich durch Zufall wieder an einem Orte, wo eine Szene vorgefallen ist, die so furchtbare Gewissensbisse bei Ihnen veranlaßt ...
Gnädiger Herr, ich bin fest überzeugt, ein unvermeidliches Verhängnis lenkt dies so. Zuerst kaufen Sie ein Haus gerade in Auteuil. Dieses Haus ist das, wo ich einen Mord begangen habe; Sie steigen in den Garten gerade auf der Treppe herab, wo er herabgestiegen ist; Sie bleiben gerade auf der Stelle stehen, wo er den Stoß erhalten hat. Zwei Schritte von hier, unter jener Platane, war das Grab, wo er das Kind verscharrt hatte. Alles dies ist kein Zufall, sonst müßte der Zufall zu sehr der Vorsehung gleichen.
Gut, nehmen wir an, es sei die Vorsehung – ich nehme immer alles an, was man will; überdies muß man kranken Geistern entgegenkommen. Auf, Bertuccio, fassen Sie sich und erzählen Sie mir die ganze Geschichte.
Ich habe sie nur ein einziges Mal erzählt, und zwar dem Abbé Busoni. Dergleichen, fügte Bertuccio hinzu, läßt sich nur unter dem Siegel der Beichte aussprechen.
Dann werden Sie es für angezeigt halten, wenn ich Sie zu Ihrem Beichtvater schicke, mein lieber Bertuccio! Doch mir bangt vor einem Gaste, den solche Gespenster in Schrecken versetzen; mir paßt es nicht, daß meine Leute am Abend nicht in den Garten zu gehen wagen. Auch muß ich gestehen, daß mich durchaus nicht nach dem Besuche irgend eines Polizeikommissars verlangt. Denn lassen Sie sich sagen, Herr Bertuccio, in Italien bezahlt man die Justiz nur, wenn sie schweigt, in Frankreich bezahlt man sie dagegen nur, wenn sie spricht. Teufel! ich meinte, Sie seien noch ein wenig Korse, ein gut Teil Schmuggler und ein äußerst geschickter Intendant; aber ich sehe, daß Sie noch andere Saiten auf Ihrem Bogen haben. Sie sind nicht mehr in meinem Dienst!
Oh! gnädigster Herr, rief der Intendant, bei dieser Drohung vom heftigsten Schrecken ergriffen, wenn es nur hiervon abhängt, ob ich in Ihrem Dienste bleibe, so werde ich reden, so werde ich alles sagen, und wenn ich Sie verlasse, nun so mag es sein, um das Schafott zu besteigen!
Das ist etwas anderes, sagte Monte Christo, doch wenn Sie lügen wollen, überlegen Sie es sich wohl! Es wäre dann besser, Sie sprächen gar nicht.
Nein, Herr Graf, ich schwöre Ihnen bei dem Heile meiner Seele, ich werde alles sagen; denn selbst der Abbé Busoni hat nur einen Teil meines Geheimnisses erfahren. Aber ich flehe Sie vor allem an, entfernen Sie sich von dieser
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