Der Graf von Monte Christo
Justiz, und der Justiz kommt es zu, die zu rächen, die sich nicht zu verteidigen vermochten. – Was war Ihr Bruder? fragte der Staatsanwalt. – Leutnant im korsischen Bataillon. – Ein Soldat des Usurpators also? – Ein Soldat der französischen Armee. – Wohl! erwiderte er, er hat sich des Schwertes bedient und ist durch das Schwert umgekommen. – Sie täuschen sich, mein Herr, er ist durch den Dolch umgekommen. – Was soll ich dabei tun? – Ich habe es Ihnen bereits gesagt, Sie sollen ihn an seinen Mördern rächen. – Warum? Ihr Bruder wird Streit gehabt und sich duelliert haben. Diese alten Soldaten erlauben sich Übergriffe, die ihnen unter der Herrschaft des Kaisers durchgingen, jetzt aber nicht mehr, denn hier im Süden liebt man weder die Soldaten, noch die Übergriffe.
Mein Herr, entgegnete ich, ich bitte Sie nicht für mich. Ich werde mich rächen, aber mein Bruder hatte eine Frau; die Arme würde Hungers sterben, denn sie lebte allein von der Arbeit meines Bruders. Erlangen Sie eine kleine Pension für sie von der Regierung!
Jede Revolution hat ihre Katastrophen, antwortete Herr von Villefort. Ihr Bruder ist ein Opfer der neuesten gewesen, das mögen Sie als ein Unglück betrachten, aber die Regierung ist Ihrer Familie deshalb nichts schuldig. Wenn wir zu Gericht zu sitzen hätten über alle Rachetaten, welche die Parteigänger des Usurpators gegen die Parteigänger des Königs verübten, als noch die Macht in ihren Händen lag, so wäre Ihr Bruder heute vielleicht zum Tode verurteilt. Was hier vorgeht, kann nur als etwas Natürliches erscheinen, denn es ist die Folge des Gesetzes der Vergeltung.
Herr, rief ich, ist es möglich, daß Sie so sprechen, Sie, als Staatsbeamter?
Bei meinem Ehrenwort, alle Korsen sind Narren, erwiderte Herr von Villefort, Sie glauben, Ihr Landsmann sei noch Kaisers, Sie irren sich in der Zeit, mein Lieber, Sie hätten mir das vor zwei Monaten sagen müssen. Gehen Sie, oder ich lasse Sie abführen!
Ich schaute ihn einen Augenblick an, um zu sehen, ob weiteres Bitten Erfolg verspräche. Aber der Mann war von Stein. Ich näherte mich ihm und sagte mit halber Stimme: Wohl! da Sie die Korsen so gut kennen, so müssen Sie wissen, wie sie ihr Wort halten. Sie meinen, man habe wohl daran getan, meinen Bruder umzubringen, der ein Bonapartist war, während Sie Royalist sind. Ich bin ebenfalls Bonapartist und sage Ihnen nur eins: Ich werde Sie töten. Von diesem Augenblicke an erkläre ich Ihnen Vendetta! Seien Sie also auf Ihrer Hut, denn sobald wir uns wieder von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen, hat Ihre letzte Stunde geschlagen. Darauf öffnete ich, ehe er sich von seinem Erstaunen erholt hatte, die Tür und entfloh.
Ah! ah! sagte Monte Christo, mit Ihrem ehrlichen Gesichte bringen Sie dergleichen fertig und noch dazu gegen einen Staatsanwalt! Pfui doch! Und wußte er denn, was das Wort Vendetta besagen wollte?
Er wußte es so gut, daß er von diesem Augenblick an nicht mehr allein ausging, sich zu Hause verschanzte und mich überall suchen ließ. Zum Glück war ich so gut verborgen, daß er mich nicht finden konnte. Da faßte ihn die Angst, er fürchtete sich, länger in Nimes zu bleiben; er bat um Versetzung, und da er wirklich ein einflußreicher Mann war, so berief man ihn nach Versailles. Aber Sie wissen, daß es für einen Korsen, der seinem Feinde Rache geschworen hat, keine Entfernung gibt, und sein Wagen, so gut er gefahren wurde, hatte nie über einen halben Tag Vorsprung vor mir, während ich ihm doch zu Fuße folgte.
Das Schwierige dabei war nicht, ihn zu töten, denn hundertmal fand ich hierzu Gelegenheit, aber ich mußte ihn töten, ohne entdeckt und besonders ohne verhaftet zu werden. Denn ich gehörte nicht mehr mir; ich hatte meine Schwägerin zu beschützen und zu ernähren. Drei Monate lang belauerte ich Herrn von Villefort; drei Monate lang machte er keinen Schritt, keinen Spaziergang, ohne daß ihm mein Blick folgte. Endlich entdeckte ich, daß er insgeheim nach Auteuil kam; ich folgte ihm und sah ihn in das Haus gehen, in dem wir uns befinden; nur kam er, statt durch die Haustür vorn einzutreten, entweder zu Pferde oder zu Wagen, ließ Pferd oder Wagen im Wirtshaus und schlich sich durch die kleine Tür herein, die Sie dort sehen.
Ich hatte nichts mehr in Versailles zu tun, blieb in Autenil und zog Erkundigungen ein. Wollte ich ihn fangen, so mußte ich offenbar hier meine Falle stellen. Das Haus gehörte Villeforts Schwiegervater, Herrn
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