Der Graf von Monte Christo
Erscheinen in der Pariser Welt nicht damit anfangen wolle, daß er eine hübsche Frau in Verzweiflung bringe, so bitte er sie, ihre Pferde zurückzunehmen. Als das Gespann wieder zurückgesandt wurde, trugen die Pferde das gleiche Geschirr, nur hatte der Graf in die Mitte jeder Rosette über dem Ohre einen Diamanten nähen lassen.
Danglars empfing auch einen Brief. Der Graf bat ihn um Erlaubnis, bei der Baronin dieser Millionärslaune entsprechen zu dürfen, und schrieb ihm zugleich, er möge die orientalische Manier entschuldigen, mit der die Zurücksendung der Pferde stattfinde.
Durch einen Schlag auf das Glöckchen gerufen, trat Ali am andern Morgen in das Kabinett des Grafen, der mit ihm am Abend vorher nach Auteuil gefahren war.
Ali, sagte Monte Christo, ich habe von deiner Geschicklichkeit im Werfen des Lassos gehört.
Ali machte ein bejahendes Zeichen und richtete sich stolz auf.
Du könntest also mit dem Lasso einen Ochsen aufhalten?
Ali machte mit dem Kopfe ein bejahendes Zeichen.
Einen Löwen?
Ali machte die Gebärde eines Menschen, der den Lasso schleudert, und ahmte ein ängstliches Gebrüll nach.
Ich begreife, sagte der Graf, du hast den Löwen gejagt. Würdest du zwei toll gewordene Pferde in ihrem Laufe aufhalten?
Ali lächelte.
Wohl, so höre! sagte Monte Christo. Sogleich wird ein Wagen, fortgerissen von zwei Apfelschimmeln, denselben, die gestern noch mein waren, hier vorüberkommen. Dun mußt diesen Wagen vor meiner Tür anhalten, und sollten die Pferde dabei zu Grunde gehen.
Ali ging auf die Straße hinab und zog vor der Tür eine Linie auf dem Pflaster; dann kehrte er zurück und zeigte dem Grafen, der ihm mit den Augen gefolgt war, die Linie.
Der Graf schlug ihm sanft auf die Schulter ... dies war seine Weise, Ali zu danken; dann ging der Nubier abermals hinab und rauchte seinen Tschibuk auf einem Randsteine, der die Ecke des Hauses und der Straße bildete, während Monte Christo sich mit anderen Dingen beschäftigte.
Gegen fünf Uhr hörte man ein entferntes Rollen, das sich mit großer Geschwindigkeit näherte; es erschien eine Kalesche, deren Kutscher vergebens die Pferde zurückzuhalten suchte, die wütend, mit gesträubten Mähnen, in wahnsinnigen Sprüngen fortstürzten.
Eine junge Frau und ein Kind von sieben Jahren, die sich im Wagen eng umschlossen hielten, waren vor übergroßem Schrecken außer stande, einen Schrei auszustoßen; ein Stein unter einem Rad oder ein Anstreifen an einem Baume hätte genügt, den krachenden Wagen zu zerschmettern. Die Schreckensrufe der Vorübergehenden begleiteten das dahinsausende Gefährt.
Plötzlich legte Ali seinen Tschibuk weg, zog den Lasso aus der Tasche, schleuderte ihn, daß er dreimal die Vorderbeine des linken Pferdes umwickelte, und ließ sich ein paar Schritte durch die Heftigkeit der Bewegung fortreißen, aber dann stürzte das gefesselte Pferd nieder und lähmte die Anstrengungen des aufrecht gebliebenen, das mit aller Gewalt seinen Lauf fortzusetzen trachtete. Der Kutscher benutzte diese Frist, um von seinem Sitze herabzuspringen; doch bereits hatte Ali das zweite Pferd mit eiserner Faust an den Nüstern gepackt, und vor Schmerz wiehernd, stand das Tier regungslos.
Dies alles spielte sich so schnell ab, wie die Kugel zum Ziel fliegt. Doch reichte es hin, daß ein Mann aus dem Hause, vor dem der Unfall sich ereignet hatte, mit mehreren Dienern herbeieilen konnte; in dem Augenblick, wo der Kutscher den Schlag öffnete, hob er aus dem Wagen die Dame, die sich mit einer Hand an ein Kissen anklammerte, während sie mit der andern ihren ohnmächtigen Sohn an die Brust drückte. Monte Christo trug beide in den Salon und sagte, während er sie auf einen Diwan niederlegte: Seien Sie ruhig, gnädige Frau, Sie sind gerettet.
Die Frau kam zu sich und deutete auf ihren Sohn mit einem Blicke, beredter als alle Bitten.
Ja, ich begreife, sagte der Graf, das ohnmächtige Kind aufmerksam betrachtend; doch seien Sie unbesorgt, es ist ihm kein Unglück widerfahren, die bloße Angst hat den Kleinen in diesen Zustand versetzt.
Oh, mein Herr, rief die Mutter, sagen Sie mir das nicht, um mich zu beruhigen? Sehen Sie, wie bleich er ist! Mein Sohn! Mein Kind! Mein Eduard! Antworte doch deiner Mutter! Ach! mein Herr, lassen Sie einen Arzt rufen! Mein Vermögen dem, der mir meinen Sohn zurückgibt!
Monte Christo machte mit der Hand eine Gebärde, um die in Tränen zerfließende Mutter zu beruhigen, öffnete ein Kästchen, nahm daraus ein
Weitere Kostenlose Bücher