Der Graf von Monte Christo
Dantes.
Dantes verbeugte sich, warf einen Blick der Dankbarkeit auf Villefort und ging ab.
Kaum war die Tür hinter ihm geschlossen, als Villefort die Kräfte schwanden und er wie ohnmächtig auf einen Stuhl fiel.
Nach einem Augenblick aber murmelte er: Oh, mein Gott! Woran hängen Leben und Glück! Wäre der Erste Staatsanwalt in Marseille gewesen, hätte man den Untersuchungsrichter statt meiner gerufen, so war ich verloren, und dieses Papier, dieses verfluchte Papier stürzte mich in den Abgrund. Oh, Vater, wirst du denn immer als Hindernis zwischen mich und das Glück treten? Muß ich denn ewig mit deiner Vergangenheit kämpfen?
Dann schien plötzlich ein unerwarteter Gedanke seinen Geist zu durchzucken, sein Antlitz erleuchtete sich, ein Lächeln umspielte seine noch zusammengepreßten Lippen, und seine Augen gewannen wieder ihre Festigkeit.Ja, so ist es, sagte er; dieser Brief, der mich zu Grunde richten sollte, wird vielleicht mein Glück machen. Auf, Villefort, ans Werk!
Und nachdem er sich versichert hatte, daß der Angeschuldigte sich nicht mehr im Vorzimmer befand, entfernte er sich ebenfalls und ging rasch nach dem Hause seiner Braut.
Das Kastell If.
Das Vorzimmer durchschreitend, machte der Polizeikommissar zwei Gendarmen ein Zeichen. Man öffnete eine Tür, durch die die Wohnung des Staatsanwalts mit dem Justizpalast in Verbindung stand, und folgte einem durch die ganze Länge des Justizgebäudes führenden Gange nach dem Gefängnisse. Endlich kam man an eine Tür mit einem eisernen Gitter, an die der Polizeikommissar dreimal mit einem eisernen Hammer klopfte. Die Tür öffnete sich, und die Gendarmen schoben den Gefangenen, der abermals zögerte, mit Gewalt vorwärts. Dantes überschritt die furchtbare Schwelle, und die Tür schloß sich hinter ihm. Man führte ihn in ein ziemlich reines, aber mit Gittern und Riegeln versehenes Zimmer. Der Anblick seiner neuen Wohnung machte ihm nicht zu sehr bange. Die Worte des teilnehmenden Staatsanwalts klangen in seinem Ohre wie ein süßer Hoffnungston.
Es war bereits vier Uhr, als Dantes in sein Zimmer geführt wurde. Es war der erste März, die Tage waren noch kurz, und der Gefangene befand sich frühzeitig im Dunkeln. Sein Gehör schärfte sich nun immer mehr, je mehr der Gesichtssinn versagte. Bei dem geringsten Geräusche erhob er sich lebhaft und machte, in der Hoffnung, man käme, ihn in Freiheit zu setzen, einen Schritt nach der Tür; aber bald erstarb das Geräusch in einer andern Richtung, und Dantes fiel wieder auf seinen Schemel zurück.
Endlich gegen zehn Uhr abends, in dem Augenblick, wo er die Hoffnung zu verlieren anfing, ließ sich ein neues Geräusch vernehmen, und diesmal schien es sich seinem Zimmer zuzuwenden. Es erschollen wirklich Tritte im Gange, die vor seiner Türe anhielten. Ein Schlüssel wurde im Schlosse gedreht, die Riegel klirrten, die massige Schranke von Eichenholz öffnete sich und ließ plötzlich in dem düsteren Zimmer das blendende Licht zweier Fackeln aufleuchten.
Bei dem Schimmer dieser Fackeln sah Dantes die Säbel und Musketen von vier Gendarmen glänzen. Er hatte zwei Schritte vorwärts gemacht, blieb aber nun, als er diese Menschen gewahrte, auf der Stelle und fragte: Wollt ihr mich holen?
Ja, antwortete einer von den Gendarmen.
Auf Befehl des Herrn Staatsanwaltsvertreters?
Ich denke wohl.
Gut, sagte Dantes, ich bin bereit, euch zu folgen.
Der Gedanke, daß man ihn auf Befehl des Herrn von Villefort hole, benahm dem Unglücklichen jede Furcht; er schritt ruhig und festen Schrittes vorwärts und stellte sich mitten unter die Gendarmen. Vor der Tür wartete ein Wagen, auf dem neben dem Kutscher ein Gefreiter saß. Der Kutschenschlag wurde geöffnet, und Dantes fühlte, daß man ihn hineinschob. Er war weder im stande, noch hatte er die Absicht, Widerstand zu leisten. In einem Augenblick saß er im Hintergrunde des Wagens zwischen zwei Gendarmen; die andern setzten sich auf den Vordersitz, und der schwere Wagen rollte mit dumpfem Lärm vorwärts.
Der Gefangene schaute nach den Öffnungen; sie waren vergittert, und kaum konnte er durch die dichten Stäbe seine Hand strecken. Er hatte nur sein Gefängnis verändert, das aber jetzt forteilte und ihn einem unbekannten Ziele immer näher brachte. Dantes erkannte jedoch, daß man durch die Rue Tamaris nach dem Kai hinabfuhr.
Bald sah er durch seine Gitter die Lichter des Hafenwachtlokals glänzen. Der Wagen hielt still, der Gefreite stieg ab und
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