Der Graf von Monte Christo
junge Mann war immer noch bleich, aber ruhig und sorglos. Er verbeugte sich vor seinem Richter mit ungezwungener Artigkeit und suchte dann mit den Augen einen Stuhl, als befände er sich im Zimmer des Reeders Morel.
Jetzt erst begegnete er Villeforts düsterm Blicke, dem Blicke, der den Männern des Gesetzes eigentümlich ist, die nicht in ihren Gedanken lesen lassen wollen. Dieser Blick belehrte ihn, daß er sich vor der strengen Justiz befand.
Wer sind Sie und wie heißen Sie? fragte Villefort, in den Akten blätternd, die bereits sehr umfangreich geworden waren.
Ich heiße Edmond Dantes und bin Sekond an Bord des Schiffes Pharao.
Was taten Sie in dem Augenblick, wo Sie verhaftet wurden?
Ich wohnte meinem Verlobungsmahle bei, mein Herr, sagte Dantes mit leicht bewegter Stimme, so schmerzlich war der Kontrast jener Augenblicke der Freude mit der traurigen Szene, in der er hier auftrat, so sehr ließ Herrn von Villeforts, düsteres Gesicht seiner Mercedes' strahlendes Antlitz in um so hellerem Lichte erglänzen.
Sie wohnten Ihrem Verlobungsmahle bei? sagte Villefort, unwillkürlich bebend. So unempfindlich er gewöhnlich war, so erregte ihn doch dies Zusammentreffen lebhaft, und Dantes' bewegte Stimme erweckte eine sympathische Fiber im Grunde seiner Seele. Er heiratete auch, er war auch glücklich, wie Dantes, und man hatte ihn in seinem Glücke gestört,damit er zur Vernichtung der Freude eines Menschen beitrüge, der, wie er, seiner Seligkeit so nahe stand.
Man sagt, Sie haben sehr auffallende politische Ansichten? fuhr nach einigen Augenblicken Villefort fort, der gern die Frage in die Form einer Anklage kleidete.
Meine politischen Ansichten, mein Herr? Ach! ich schäme mich beinahe, es zu gestehen, aber ich habe das nie gehabt, was man eine Ansicht nennt. Ich bin kaum neunzehn Jahre alt, ich weiß nichts, ich bin nicht bestimmt, irgend eine Rolle zu spielen; das wenige aber, was ich weiß und sein werde, wenn man mir die Stelle bewilligt, nach der ich trachte, habe ich Herrn Morel zu verdanken. Alle meine Ansichten, ich sage nicht politische, sondern Privatansichten, beschränken sich auf folgende drei Gefühle: ich liebe meinen Vater, ich ehre Herrn Morel und bete Mercedes an. Das ist alles, was ich über meine Ansichten vor Gericht erklären kann, und Sie sehen, daß es nicht eben sehr interessant ist.
Während Dantes so sprach, schaute Villefort sein zugleich sanftes und offenes Gesicht an und erinnerte sich zugleich der Worte Renées, die, ohne den Gefangenen zu kennen, um Nachsicht für ihn gebeten hatte. Mit dem gewohnten Scharfblick, den er in der Erforschung des Verbrechens und der Verbrecher bereits besaß, erkannte er in jedem Worte Dantes' den Beweis seiner Unschuld.
Bei Gott, sagte Villefort zu sich selbst, das ist ein guter Bursche, und ich werde hoffentlich nicht viel Mühe haben, mich bei Renée willkommen zu machen, indem ich ihrer Empfehlung Folge leiste. Das trägt mir einen guten Händedruck vor aller Welt und insgeheim einen herzlichen Kuß ein.
Bei dieser doppelten Hoffnung erheiterte sich Villeforts Antlitz so, daß Dantes, der allen Bewegungen in der Physiognomie seines Richters gefolgt war, lächelnd die große Veränderung in seinem Aussehen bemerkte.
Ist Ihnen bekannt, sagte Villefort, daß Sie Feinde haben?
Feinde, ich? erwiderte Dantes, ich habe das Glück, nochzu wenig zu sein, als daß mir meine Stellung Feinde verschafft haben sollte. Was meinen vielleicht etwas lebhaften Charakter betrifft, so suche ich ihn stets meinen Untergeordneten gegenüber zu mildern. Ich habe zehn bis zwölf Matrosen unter meinem Befehle; und diese werden Ihnen auf Befragen sagen, daß sie mich lieben und achten, nicht wie einen Vater, dazu bin ich noch zu jung, sondern wie einen Bruder.
Aber in Ermanglung von Feinden haben Sie vielleicht Neider; Sie sollen mit neunzehn Jahren Kapitän werden, das ist ein hoher Posten in Ihrem Stande; Sie sollen ein hübsches Mädchen heiraten, das Sie liebt, das ist ein seltenes Glück bei allen Ständen der Erde. Diese zwei Vorzüge des Schicksals konnten Ihnen Neider zuziehen.
Ja, Sie haben recht. Sie müssen wohl die Menschen besser kennen, als ich. Sollten aber diese Neider unter meinen Freunden sein, so gestehe ich, daß ich sie lieber nicht kennen lernen will, um sie nicht Hassen zu müssen.
Sie haben unrecht; man muß so klar als möglich um sich her sehen. In der Tat, Sie scheinen mir ein so ehrenwerter Mann zu sein, daß ich von der gewöhnlichen
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