Der Graf von Monte Christo
Enkelin? – Ja, machte der Greis.
Hören Sie, wir haben keine Zeit zu verlieren, ich will Sie fragen, und Sie antworten mir. Haben Sie den Unfall vorhergesehen, der heute Valentine begegnet ist? – Ja.
D'Avrigny dachte einen Augenblick nach, näherte sich sodann Noirtier und fuhr fort: Verzeihen Sie mir, was ich Ihnen sagen werde; doch in der furchtbaren Lage, in der wir uns befinden, darf kein Anzeichen vernachlässigt werden. Haben Sie den armen Barrois sterben sehen?
Noirtier schlug die Augen zum Himmel auf.
Wissen Sie, woran er gestorben ist? – Ja.
Glauben Sie, sein Tod sei natürlich gewesen?
Etwas wie ein Lächeln trat auf die trägen Lippen Noirtiers. Es ist Ihnen also der Gedanke gekommen, Barrois sei vergiftet worden? – Ja. – Glauben Sie, das Gift, dem er unterlegen ist, sei für ihn bestimmt gewesen? – Nein.
Meinen Sie, dieselbe Hand, die Barrois statt eines andern getroffen, treffe heute Valentine? – Ja. – Sie wird also ebenfalls unterliegen? fragte d'Avrigny, einen tiefen Blick auf Noirtier heftend. – Nein, erwiderte dieser mit triumphierender Miene. – Sie hoffen also? fragte d'Avrigny erstaunt. – Ja. – Was hoffen Sie?
Der Greis machte durch die Augen begreiflich, er könne nicht antworten.
Ah! ja, das ist wahr, murmelte d'Avrigny.
Dann sagte er: Sie hoffen, der Mörder würde müde werden? – Nein. – Also hoffen Sie, das Gift werde ohne Wirkung auf Valentine sein? – Ja. – Denn nicht wahr, ich belehre Sie nicht, wenn ich Ihnen sage, man habe sie in der Tat zu vergiften gesucht?
Der Greis machte mit den Augen ein Zeichen, das keinen Zweifel in dieser Beziehung übrig ließ.
Wie hoffen Sie dann, daß Valentine entkommen werde?
Noirtier hielt hartnäckig seine Augen auf einen Punkt geheftet; d'Avrigny folgte der Richtung seiner Augen und sah, daß sie auf eine Flasche zielten, die den Trank enthielt, den man ihm jeden Morgen brachte.
Ah! ah! sagte d'Avrigny, plötzlich von einem Gedanken erleuchtet, sollten Sie den Einfall gehabt haben ... – Noirtier ließ ihn nicht vollenden. Ja, machte er. – Sie gegen das Gift zu verwahren? – Ja. – Indem Sie Valentine allmählich daran gewöhnten, da Sie mich haben sagen hören, es komme Brucin in den Trank, den ich Ihnen gebe. – Ja, ja, ja, machte der Greis, entzückt, verstanden zu werden. – Und Sie gewöhnten sie an dieses Getränk und wollten dadurch die Wirkungen eines solchen Giftes aufheben?
Dieselbe triumphierende Freude bei Noirtier.
Und es ist Ihnen wirklich gelungen! rief d'Avrigny. Ohne diese Vorsichtsmaßregel wäre Valentine heute getötet, getötet ohne die Möglichkeit einer Hilfe; der Schlag war heftig, doch sie wurde nur erschüttert, und diesmal wenigstens wird Valentine nicht sterben.
Eine übermenschliche Freude glänzte in den mit einem Ausdrucke unsäglicher Dankbarkeit zum Himmel aufgeschlagenen Augen des Greises.
In dieser Minute kam Villefort zurück.
Hier, Doktor, sagte er, hier ist das Verlangte. – Dieser Trank ist in Ihrer Gegenwart bereitet worden? – Ja. – Er ist nicht aus Ihren Händen gekommen? – Nein.
D'Avrigny nahm die Flasche, goß ein paar Tropfen von ihrem Inhalt in seine hohle Hard und verschluckte sie.
Gut, sagte er, gehen wir zu Valentine! Ich werde dort meine Vorschriften geben, und Sie selbst, Herr von Villefort, wachen darüber, daß niemand davon abgeht.
In dem Augenblick, wo der Doktor in das Zimmer Valentines, von Villefort begleitet, zurückkehrte, mietete ein italienischer Priester das an das Hotel des Herrn von Villefort anstoßende Haus.
Man konnte nicht erfahren, was die drei Mieter dieses Hauses bewogen hatte, zwei Stunden nachher auszuziehen. Aber es ging allgemein das Gerücht in der Gegend, das Haus ruhe nicht fest auf seinem Grunde und drohe einzustürzen, was den neuen Mieter aber durchaus nicht abhielt, noch an demselben Tage gegen fünf Uhr einzuziehen.
Der Mietvertrag wurde für drei Jahre abgeschlossen und der Hauszins von dem neuen Mieter namens Signor Giacomo Busoni sechs Monate vorausbezahlt.
Es wurden sogleich Arbeiter gerufen, und noch in derselben Nacht sahen einige Verspätete beim Vorübergehen mit Erstaunen Zimmerleute und Maurer mit Ausbesserung des wankenden Hauses beschäftigt.
Sechstes Buch
Der Vertrag.
Drei Tage nachher, gegen fünf Uhr abends, in dem Augenblick, wo Monte Christo eben ausfahren wollte, besuchte ihn Herr Andrea Cavalcanti, so vor Glück strahlend, als sei er im Begriff, eine Prinzessin zu heiraten.
Ei!
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