Der Graf von Monte Christo
guten Morgen, lieber Herr von Monte Christo! sagte er zu dem Grafen, den er auf der obersten Stufe traf.
Ah! Herr Andrea! erwiderte der Angeredete mit halb spöttischem Tone, wie befinden Sie sich?
Vortrefflich, wie Sie sehen. Ich habe über tausenderlei Dinge mit Ihnen zu sprechen.
Nachdem Andrea aus die Aufforderung des Grafen im Salon des ersten Stockwerks Platz genommen hatte, sagte er mit lachender Miene: Sie wissen, daß die Zeremonie heute abend stattfindet?
Allerdings; ich bekam gestern einen Brief von Herrn Danglars. Sie sind nun also glücklich, Herr Cavalcanti? Sie schließen eine sehr wünschenswerte Verbindung; auch ist Fräulein Danglars sehr hübsch.
Jawohl, sagte Cavalcanti etwas kleinlaut.
Sie ist besonders sehr reich, wie ich glaube?
Sehr reich, glauben Sie? wiederholte der junge Mann.
Allerdings; man sagt, Herr Danglars verhehle wenigstens die Hälfte seines Vermögens.
Und er bekennt sich zu fünfzehn bis zwanzig Millionen! rief Andrea mit einem vor Freude funkelnden Blicke.
Abgesehen davon, daß dieses ganze Vermögen Ihnen zufließen wird, da Fräulein Danglars die einzige Tochter ist. Überdies kommt Ihr eigenes Vermögen – Ihr Vater hat mir dies wenigstens gesagt – dem Ihrer Braut beinahe gleich. Doch lassen wir die Geldsache beiseite. Wissen Sie, Herr Andrea, daß Sie die Sache geschickt durchgeführt haben?
Nicht schlecht, sagte der junge Mann; ich war für die Diplomatie geboren.
Wohl, die diplomatische Laufbahn wird Ihnen offen stehen ... Also das Herz ist auch gefangen?
In der Tat, ich befürchte es.
Liebt man Sie ein wenig?
Es muß wohl sein, da man mich heiratet, erwiderte Andrea mit siegreichem Lächeln. Doch vergessen wir eines nicht. Es ist mir beständig eine merkwürdige Unterstützung zuteil geworden.
Bah! Durch Zufall.
Nein, durch Sie.
Durch mich? Lassen Sie das, Prinz, sagte Monte Christo mit absichtlicher Betonung des Titels. Was konnte ich für Sie tun? Genügten nicht Ihr Name, Ihre gesellschaftliche Stellung und Ihr Verdienst?
Nein, nein; Sie mögen sagen, was Sie wollen, ich behaupte, Herr Graf, daß die Stellung eines Mannes, wie Sie, mehr getan hat, als mein Name, meine gesellschaftliche Stellung und mein Verdienst.
Sie täuschen sich ganz und gar, mein Herr, sagte Monte Christo, der die Absicht des jungen Mannes durchschaute. Sie haben meine Protektion erst erlangt, nachdem ich von dem Einfluß und dem Vermögen Ihres Herrn Vaters Kenntnis genommen; denn wer hat im ganzen mir, der Sie nie gesehen hat und ebensowenig den erhabenen Urheber Ihrer Tage, das Glück verschafft, Sie kennen zu lernen? Zwei von meinen Freunden, Lord Wilmore und der Abbé Busoni. Wer hat mich ermutigt, nicht Ihnen als Bürgschaft zu dienen, sondern Sie zu patronisieren? Der in Italien so bekannte und geehrte Name Ihres Vaters; persönlich kenne ich Sie nicht.
Diese unerschütterliche Ruhe und Leichtigkeit ließen Andrea begreifen, daß er für den Augenblick unter dem Drucke einer stärkeren Hand als die seine war, stand und daß sich dieser Druck nicht so leicht brechen ließ.
Sagen Sie, Herr Graf, fuhr er fort, ist das Vermögen meines Vaters wirklich groß?
Es scheint so.
Wissen Sie nicht, ob die Mitgift, die er mir versprochen hat, angekommen ist?
Ich habe die schriftliche Ankündigung erhalten, und die drei Millionen sind aller Wahrscheinlichkeit nach auf dem Wege.
Ich werde sie also wirklich erhalten?
Verdammt! rief der Graf, es scheint mir, es hat Ihnen bis jetzt nicht an Geld gefehlt.
Andrea war so erstaunt, daß er einen Augenblick in Sinnen versank.
Mein Herr, sagte er, aus seiner Träumerei erwachend, ich habe nur noch eine Bitte an Sie zu richten, die Sie verstehen werden, selbst wenn sie Ihnen unangenehm sein sollte.
Sprechen Sie.
Ich kam durch mein Vermögen mit vielen ausgezeichneten Leuten in Verbindung und habe, wenigstens für den Augenblick, eine Menge Freunde. Doch wenn ich mich jetzt sozusagen im Angesicht der ganzen Pariser Gesellschaft verheirate, so muß ich mich in Ermangelung der väterlichen Hand durch einen Mann mit erhabenem Namen und zweifellosem Ansehn an den Altar führen lassen; mein Vater kommt aber nicht nach Paris, nicht wahr?
Er ist alt, mit Wunden bedeckt und leidet, wie er sagt, so sehr, daß ihn jede Reise an den Rand des Grabes bringt.
Ich begreife und komme daher, die Bitte an Sie zu wagen, ihn zu ersetzen.
Ah! mein lieber Herr, nachdem ich so lange mit Ihnen zu verkehren das Glück gehabt habe, kennen Sie mich so
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