Der Graf von Monte Christo
empfunden hatte. Ein leichtes Kratzen an der Bibliothek entzog sie ihrer Betäubung. Sie hob den Kopf mit großer Anstrengung in die Höhe. Die stille Tür drehte sich abermals auf ihren Angeln, und der Graf von Monte Christo erschien wieder.
Nun! fragte er, zweifeln Sie immer noch?
Oh, mein Gott! murmelte das Mädchen.
Sie haben sie erkannt?
Valentine stieß einen Seufzer aus und erwiderte: Ja, doch ich kann nicht daran glauben.
Sie wollen also lieber sterben und Maximilian sterben lassen?
Mein Gott! mein Gott! rief das Mädchen, fast von Sinnen, kann ich denn nicht das Haus verlassen und fliehen?
Valentine, die Hand, die Sie verfolgt, wird Sie überall treffen; mit Gold verführt man Ihre Diener, und der Tod bietet sich Ihnen unter allen Gestalten verkleidet: im Wasser, das Sie an der Quelle trinken, in der Frucht, die Sie vom Baume pflücken.
Wer sagten Sie denn nicht, die Vorsicht des guten Papas habe mich gegen das Gift beschützt?
Gegen ein Gift, das nicht einmal in starker Dose angewendet wurde; man wird das Gift verändern oder die Dosis vermehren.
Er nahm das Glas und benutzte seine Lippen.
Ah! sehen Sie, sagte er, es ist bereits geschehen. Man vergiftet Sie nicht mehr mit Brucin, sondern mit einem andern Mittel. Ich erkenne den Geschmack des Alkohols, in dem man es sich hat auflösen lassen. Hätten Sie getrunken, was Ihnen Frau von Villefort in dieses Glas gegossen, Valentine, Sie wären bereits verloren.
Mein Gott! warum verfolgt sie mich denn? Ich habe ihr nie Schlimmes zugefügt.
Doch Sie sind reich, Valentine, Sie haben 200 000 Franken Rente, und diese 200 000 Franken entziehen Sie ihrem Sohne.
Wieso? Mein Vermögen ist nicht das seinige; es kommt mir von meinen Großeltern zu.
Allerdings, und deshalb sind Herr und Frau von Saint-Meran gestorben, die Sie beerben sollten; deshalb war Herr Noirtier verurteilt, sobald er Sie zu seiner Erbin eingesetzt hatte; deshalb endlich sollen Sie sterben, damit Ihr Vater von Ihnen erbt und Ihr Bruder als einziges Kind dann von Ihrem Vater.
Eduard! Armes Kind, für ihn begeht man alle diese Verbrechen?
Ah! Sie begreifen endlich.
Mein Gott! Wenn er nur nicht einmal hierfür leiden muß!
Sie sind ein Engel, Valentine!
Und in dem Geiste einer Frau ist eine solche Kombination geboren worden! Mein Gott! Mein Gott! Denken Sie an Perugua, an die Laube im Gasthause zur Post, an den Mann mit dem braunen Mantel, den Ihre Mutter über die Aqua Tosana befragte! Nun, seit jener Zeit reifte der ganze höllische Plan in ihrem Gehirn.
Oh! mein Herr, rief das sanfte Mädchen, in Tränen zerfließend, ich sehe wohl, daß ich zum Sterben verurteilt bin, wenn es so ist.
Nein, Valentine, nein, denn ich habe dies alles vorhergesehen; nein, denn unsere Feindin ist besiegt, weil sie entdeckt ist: nein, Sie werden leben, Valentine, um zu lieben und geliebt zu werden, Sie werden leben, um glücklich zu sein und ein edles Herz glücklich zu machen; doch um zu leben, Valentine, müssen Sie Vertrauen zu mir haben.
Befehlen Sie, mein Herr, was soll ich tun?
Sie müssen blindlings nehmen, was ich Ihnen geben werde.
Oh! Gott ist mein Zeuge, rief Valentine, wenn ich allein wäre, so würde ich lieber sterben.
Sie werden niemand vertrauen, selbst nicht einmal Ihrem Vater?
Nicht wahr, mein Vater hat keinen Anteil an diesem furchtbaren Komplott?
Nein, und dennoch muß Ihr Vater vermuten, daß alle diese Todesfälle, die Ihr Haus treffen, nicht natürlich sind. Ihr Vater hätte über Ihnen wachen sollen, er sollte zu dieser Stunde an dem Platze sein, den ich einnehme; er sollte bereits dieses Glas ausgeleert haben; er müßte sich gegen den Mörder erhoben haben. Gespenst gegen Gespenst, murmelte er, ganz leise seinen Satz vollendend.
Gut, sagte Valentine, ich werde alles tun, um zu leben, denn es gibt zwei Wesen auf der Welt, die mich so lieben, daß sie sterben würden, wenn mich der Tod träfe: mein Großvater und Maximilian.
Ich werde auch sie beschützen.
Wohl, mein Herr, verfügen Sie über mich, sprach Valentine. Dann sagte sie mit leisem Stimme: Oh, mein Gott! mein Gott! Was wird mir widerfahren?
Valentine, was Ihnen auch geschehen mag, erschrecken Sie nicht! Wenn Sie leiden, wenn Sie das Gesicht, das Gehör, das Gefühl verlieren, fürchten Sie nichts! Wenn Sie erwachen, ohne zu wissen, wo Sie sind, hegen Sie keine Furcht, und sollten Sie sich in einem Grabgewölbe oder in einem Sarge finden! Sammeln Sie sogleich Ihren Geist und sagen Sie sich: In diesem
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