Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
Vom Netzwerk:
ihre Kleider wieder überzog, war sie es, die zitterte und sich an mich herankuschelte. Ich legte meine Arme
    wärmend um sie, und sie schnurrte vor Wohlbehagen.
    Ich dachte nach. Vor langer Zeit hatte ich mir einen
    geistigen Vermerk gemacht, daß ich niemals in Gegenwart eines Hundes irgend jemanden durch einen
    Geschlechtswechsel zu täuschen versuchen durfte. Hunde würden, soviel wußte ich inzwischen, mit ihrem
    empfindlichen Geruchssinn die Täuschung erkennen. Livias Verhalten veranlaßte mich, diesem Vermerk einen Zusatz hinzuzufügen. Offensichtlich sind Kinder in ihren
    Wahrnehmungen genauso empfindlich. Fortan also mußte
    ich auch in der Gegenwart von Kindern vorsichtig sein.
    Wie sich herausstellte, brauchte ich in Livias Gegenwart zumindest nicht mehr viel länger auf der Hut zu sein. Als ich am nächsten Morgen mit Velox zur Mine hochritt, war zwar ihr Vater da, aber sie war nirgends zu sehen. Er teilte mir mit, daß Livia einen Katarrh eingefangen hatte und der Medicus der Mine angeordnet hatte, sie müsse auf ihrem mit Vorhängen zugehängten und mit medizinischen Dämpfen
    erfüllten Zimmer bleiben, bis es ihr wieder besser gehe.
    Georgius übermittelte mir diese Nachricht in einem
    anklagenden Ton, so als sei ich an Livias Unpäßlichkeit schuld. Dabei war ich davon überzeugt, daß die tapfere kleine Livia ihm erzählt hatte, sie sei ohne mich schwimmen gegangen.
    Ich ritt in die Stadt zurück und fragte mich, womit ich die nächsten vier Tage verbringen sollte. Ich hatte mich daran gewöhnt, mindestens den halben Tag Livia in meiner
    Gesellschaft zu haben. Als ich Velox in den Stall
    zurückführte, war ich wie vom Schlag gerührt. Wyrd war dort. Es war das erste Mal, seit wir in Haustaths waren, daß er herausgekommen war, sein Pferd striegelte und zärtlich mit ihm sprach. Jetzt, da er nicht hinter einem Tisch
    zusammengesunken saß oder in seinem Bett lag, sah ich
    erst, wie elendiglich ausgemergelt er geworden war. Seine Stimme klang sehr rauh. Lag es daran, daß ihm die Kehle zugeschnürt wurde, wie er behauptete, oder hatte der
    Überfluß an Wein sie aufgerieben? Auf jeden Fall erschien er nüchtern und im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte.
    »Was soll das?« fragte ich skeptisch. »Nachdem Andraias, seine Frau und ich vergeblich versucht haben, dich von Wein und Bier abzustillen, hast du es ganz von allein
    geschafft?«
    Wyrd hustete und spuckte auf das Stroh. Dann sagte er:
    »Als ich heute morgen feststellen mußte, daß ich selbst verwässerten Wein oder verdünntes Bier nicht mehr
    schlucken konnte, wurde mir klar, daß meine Eingeweide rebellieren. Nun kann ich nicht einmal mehr über das
    Trinken reden. Ich habe dir eine Jagd versprochen, Junge.
    Was hältst du davon? Oder stößt dich dieser alte Wicht zu sehr ab, um ihn noch einmal zu begleiten?«
    »Ne, Fräuja, ni allis«, sagte ich reumütig, bedauernd, daß ich wie eine keifende Frau wiederholt an ihm
    herumgenörgelt hatte. »Ich habe auf deine Genesung
    gewartet, damit wir endlich wieder umherziehen können.«
    »Wir werden einige Tage weg sein. Wird Livia dich gehen lassen? Kannst du deinem Hang, Kinder zu entführen, einige Tage entsagen?«
    »Natürlich. Vielleicht hatte ich in letzter Zeit zuviel kindliche Gesellschaft. Es wird gut tun, endlich einmal wieder auszureiten und nicht Kindermädchen spielen zu
    müssen.«
    »Ich sehe, du trägst dein Schwert und deine Schleuder.
    Ich selbst brachte meinen Bogen und Pfeile. Laß uns die Pferde packen und dann nichts wie weg.«
    Wir brauchten nicht zur Taverne zurückkehren, denn alles, was wir für draußen brauchten, hatten wir in den Ställen gelassen. Wir nahmen beide eine Felldecke, in die wir
    unsere Sachen einwickelten. Dann banden wir sie hinter uns auf den Sattel, stiegen auf und ritten los. Wyrd folgte nicht dem Pfad, der uns hierher gebracht hatte, sondern jenem, der Livia und mich zu dem Eisflodus am Dachstein geführt hatte.
    Anfangs war der Weg breit genug, daß wir Seite an Seite reiten konnten. »Fräuja«, fragte ich ihn, »du hast gesagt, wir würden ein einzigartiges Wild jagen. Was für ein Tier ist das?«
    »Ein Vogel, ein Auths-Hana. Nicht wirklich einzigartig, aber er ist sehr scheu, zeigt sich selten und verlangt deshalb nach einer außergewöhnlichen Jagdmethode. Wir haben auf unseren Reisen noch niemals einen Auths-Hana zu Gesicht bekommen, und ich dachte, es sei an der Zeit, dir einen zu zeigen, dich zu lehren, wie man ihn aufspürt und wie gut

Weitere Kostenlose Bücher