Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
Vom Netzwerk:
»Ja, in dieser Reihenfolge. Er schlief am Tisch ein - hick - und meine alte Frau und ich brachten ihn nach oben.«
    So aß ich allein und mit gesundem Appetit. Als auch ich ins Bett ging, schnarchte Wyrd wie zehn Bären. Der Raum war erfüllt von Weingeruch, aber ich war zu müde, um mich dadurch vom Schlafen abhalten zu lassen.
    Am nächsten Morgen, als wir unser erstes Tagesmahl
    zusammen einnahmen, trank Wyrd schon wieder Wein. Ich
    wartete, bis sich die Wirkung des Weins verflüchtigt hatte, und erzählte ihm dann, daß ich in der Mine gewesen sei, was ich dort gesehen hatte, daß ich Livia und Georgius kennengelernt hatte und was ich von ihnen hielt.
    Er grunzte und sagte: »Die Tochter scheint ein
    annehmbares Wesen zu sein, aber der Vater gehört zu den selbstgefälligen Kleingeistern, die sich in den Provinzen zuhauf finden.«
    »Das ist auch meine Ansicht«, gab ich ihm recht. »Aber ich habe das Gefühl, ihm gegenüber Respekt wenigstens
    vortäuschen zu müssen. Immerhin ist er ein Honoratus.«
    »Balgsdaddja! Er ist eine schale Auster in einer kleinen Austernbank.«
    »Fräuja, du klingst noch mürrischer als sonst. Ist der Wein schlecht?«
    Er kratzte sich am Bart und sagte ernüchtert: »Vergib mir, Junge. In letzter Zeit bin ich etwas verzagt und schlecht gelaunt. Es wird vorübergehen, der Wein wird mir dabei helfen.«
    »Was ist los? Als wir hier ankamen, ging es dir gut. Fräuja, wir haben viel Geld, wir brauchen nicht zu arbeiten, wir können das Leben genießen, und dafür kann es keinen
    schöneren Ort als diesen geben. Weshalb verzagst du,
    woher die schlechte Laune?«
    Er fuhr fort, an seinem Bart zu zupfen, und murmelte: »Bei dem Kopf des Heiligen Denis, den er unter seinem Arm trug, ich weiß es nicht. Vielleicht werde ich einfach alt. Gereiztheit ist wohl, wie die nachlassende Sehkraft, ein Zeichen des Alters. Geh, Junge, und vergnüge dich mich deiner neuen Freundin. Laß diesen Alten seine Melancholie im Wein
    ertränken.« Er nahm einen langen Zug aus dem Kelch und rülpste. »Wenn ich mich erholt habe... in ein paar Tagen...
    dann nehme ich dich mit auf die Jagd. Hick. Nur zum Spaß...
    ein Wild, das du noch nie zuvor gejagt hast.«
    Erneut verschwand sein Gesicht hinter dem Krug. Ich
    seufzte resigniert, sagte aber nichts, sondern verließ verärgert die Taverne und ging auf den Marktplatz hinaus.
    Wie jeden Morgen war der Platz erfüllt von Menschen,
    vorwiegend Frauen, die Eßwaren für den Tag erstanden,
    und den Händlern, bei denen sie einkauften. Überrascht sah ich Livia in der Menge. Ich hatte ihr zwar gesagt, wo ich wohnte, wunderte mich aber trotzdem, was sie so früh am Tag den ganzen Weg hier herunter geführt hatte.
    »Um dich zu besuchen, natürlich«, antwortete sie. »Und um dir die Stadt zu zeigen.«
    An diesem Tag führte sie mich in das Innere der Kirche des Kalvarienberges, die auch als Sitzungssaal für den Stadtrat und als Aufbewahrungsort für Überbleibsel aus der Vergangenheit der Stadt diente. Dinge, die über die Jahre hinweg von Bergarbeitern, Bauarbeitern und Totengräbern ausgegraben worden waren. Dazu gehörten zahllose
    Schmuckstücke aus Bronze, korrodiert und mit Grünspan
    überzogen, und der sehr viel besser erhaltene Körper eines uralten, zwergenhaften Bergarbeiters, so verrunzelt, braun und ledrig wie seine Gewänder.
    Dann besuchten wir die Werkstatt eines Aizasmithas.
    Dieser hier fertigte kein Geschmeide, wie ich es woanders gesehen (und teilweise gekauft) hatte. Er hielt sich an die Formen der antiken Fundstücke, die in der
    Kalvarienbergkirche lagerten: Kettchen, die um den Arm und das Fußgelenk gelegt wurden, Schulterspangen, verzierte Dolche, weniger Waffen als vielmehr Schmuckstücke,
    Halsketten und Broschen, alles gefertigt aus glänzender Bronze.
    Livia mußte nach Hause zurückkehren und mit ihrem Tutor lernen. Ich begleitete sie bis zu den letzten Häusern der Stadt und ging dann noch einmal in die Werkstatt des
    Aizasmithas. Dort hatte ich etwas gesehen, das ich für mich selbst erstehen wollte, aber ich wollte vermeiden, daß Livia mich dabei sah. Es hätte sie verwirrt oder schockiert, denn der Gegenstand war ganz eindeutig dazu gedacht, von einer Frau getragen zu werden. Es war ein Brustschild von solch altertümlichem Aussehen, daß ich es auch woanders
    niemals mehr zum Verkauf angeboten oder von einer Frau getragen sah.
    Die Vorrichtung war einfach, wie man es von den frühen Kunsthandwerkern, die jene primitiven

Weitere Kostenlose Bücher