Der Greif
sei,
offensichtlich ist ein Auths-Hana ganz in der Nähe, denn die Spur ist noch nicht sehr alt. Hier, Junge, nimm meinen Bogen, Pfeile und geh auf die Jagd nach dem Auths-Hana.
Ich fürchte, ich selbst bin zu schwach, um den Bogen noch sicher spannen zu können. Ich werde unterhalb der
Schneefelder auf dich warten und meine alten Knochen in die Sonne legen.«
Er gab mir die Waffen. Ich stieg auf Velox und ritt davon.
Es dauerte nicht lange, bis ich den unwirklichen Schrei des Auths-Hanas hörte. Zumindest nahm ich an, daß es das sein müßte. Denn genausowenig wie dieser Hänge
hinabrutschende Vogel sich wie andere mir bekannte Vögel verhielt, genausowenig schrie er wie die Vögel, die ich bisher gehört hatte. Es klang ungefähr wie eine überaus laute Kombination von gleichzeitigen Knack-, Zisch- und Trillerlauten. Ich konnte die hier lebenden Bauern verstehen, wenn sie sich in Gegenwart von Bergkobolden wähnten.
Ich saß ab, band Velox an einen Busch und legte einen
Pfeil auf die Kerbe. Gerade brach ich in die Richtung auf, aus der der Ruf des Vogels kam, und versuchte, mich
möglichst leise auf der brüchigen Altschneekruste
fortzubewegen, als ein anderes Geräusch mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. Der unmißverständliche,
langgezogene Ruf eines Wolfes ertönte hinter mir und etwas bergabwärts, ungefähr von da, wo Wyrd jetzt sein mußte. Ich blieb verwirrt stehen, es war sehr außergewöhnlich, einen Wolf in der Mittagszeit heulen zu hören. Vor mir stieß der Auths-Hana wieder seinen ohrenbetäubenden Schrei aus,
und, als ob er darauf antworten wollte, heulte der Wolf wieder. Ich blickte unentschlossen vor und zurück. Der Wolf klang, als ob er entweder an unerträglichen Schmerzen litte oder bis aufs Blut gereizt wäre. Vielleicht war es wieder ein kranker Wolf? Wyrd hatte nichts außer seiner kurzstieligen Kampfaxt, um sich gegen einen Angriff zu verteidigen. Ich ließ den Auths-Hana Auths-Hana sein und rannte mit dem Bogen in der Hand so schnell ich konnte den Berg hinunter, um Wyrd notfalls beistehen zu können.
Ein Stück unterhalb der Schneegrenze entdeckte ich sein Pferd, das friedlich an dem wenigen genießbaren Grün, das hier oben noch wuchs, knabberte. Ich wunderte mich, daß es nicht geflohen war oder wenigstens irgendein Zeichen der Angst vor dem Wolf zeigte. Ich nahm das Pferd am Zügel und blickte suchend umher, konnte aber jenseits des
Gestrüpps nichts ausmachen. Da hörte ich den Wolf wieder, und zwar ganz in der Nähe. Mit gespanntem Bogen brach
ich in Richtung des Heulens durch das Buschwerk.
Was ich sah, ließ mir die Haare zu Berge stehen: auf der Erde lag Wyrd. Er war es, der mit unmenschlich weit
aufgerissenem Mund wie ein Wolf heulte. Seine weit
heraushängende Zunge zuckte und ließ den Heulton auf-
und abschwellen. Sein Körper war versteift, gespannt wie ein Bogen, nur mit den Fersen und dem Hinterkopf berührte er noch den Boden, auf den er mit seinen verkrampften
Fäusten wie besessen einhieb.
Als ich mich durch die Büsche zu ihm durchgekämpft
hatte, schien der Krampf plötzlich nachzulassen, denn sein Körper fiel flach auf die Erde. Er hörte mit dem schrecklichen Heulen auf, und seine Fäuste öffneten sich. Ganz schlaff lag er da, nur seine Brust hob und senkte sich wild, als er heftig nach Atem rang. Hastig band ich sein Pferd an einem Busch fest, legte meine Waffen ab und kniete rieben ihm nieder. Er blinzelte unablässig, und sein Mund stand noch immer offen, wenn auch nicht mehr so unnatürlich weit.
Erstaunlicherweise schwitzte er nicht, aber sein Gesicht war so grau wie seine Haare und, als ich es berührte, kalt und klamm.
Als er meine Hand spürte, blickte er mich mit
blutunterlaufenen
Augen an und fragte mit rauher Stimme, aber sehr klar
und verständlich: »Was hast du hier verloren, Junge?«
»Was ich hier verloren habe? Ich bin in halsbrecherischem Tempo zurückgestürzt. Es klang, als ob ein ganzes
Wolfsrudel hinter dir her wäre.«
»Habe ich etwa so laut geschrieen?« fragte er
entschuldigend. »Es tut mir leid, wenn ich dich bei der Jagd gestört habe. Ich... ich wollte mir nur den Hals durchputzen.«
»Was wolltest du? Du hast die ganzen Alpen
durchgeputzt. Jeder Ziegenhirte, jeder Baumfäller, jeder...«
»Ich wollte... ich strengte mich mächtig an, den
Schleimpfropfen auszuhusten, der mir seit langem Kehle und Luftröhre verstopft hat.«
»Jesus, Frauja«, stieß ich aus, zumindest ein
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