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Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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nach
    jenem ersten Ort Balsan Hrinkhen, »Ring des Balsam«, der im Text erwähnt wird und der laut Thorn im Königreich
    Burgund zwischen Vesontio und Lugdunum lag, dem
    heutigen Besangen und Lyon im heutigen Frankreich. Ich fand das Tal auch tatsächlich im Juragebirge, unweit der Schweizer Grenze. Erstaunlicherweise unterscheidet sich das Tal mit seinen Steilwänden und Wasserfällen, der
    labyrinthartigen Höhle, dem kleinen Dorf und den beiden Klöstern nach nunmehr fünfzehnhundert Jahren kaum von
    Thorns Beschreibung. Noch erstaunlicher ist, daß der Ort auf französisch immer noch denselben Namen trägt: le
    Cirque de Baume.
    Das Tal ist auch immer noch die Heimat jenes
    Raubvogels, den Thorn so sehr bewunderte - jenes
    Juikabloth genannten Greifs, der in anderen Teilen
    Frankreichs l'aigle brunâtre genannt wird. Die Bevölkerung des Cirque de Baume dagegen nennt ihn l'aigle Jean-Blanc -
    und ich halte dies für eine umgangssprachliche
    Verballhornung des gotischen juikabloth. Der Vogel wird dort sehr geschätzt, da er, wie Thorn berichtet, hauptsächlich Jagd auf Reptilien, einschließlich der giftigen Viper, macht.
    Eingedenk Thorns eigener ungewöhnlicher und paradoxer
    Natur interessierte es mich sehr zu erfahren, daß die
    Bevölkerung des Cirque de Baume in einer Frage geteilter Meinung ist: ob nämlich der männliche oder der weibliche Adler der erbarmungslosere Räuber ist.
    G.J.
    Balsan Hrinkhen
    1
    Lest diese Runen! Aufgeschrieben hat sie Thorn
    Mannamawi, und nicht nach dem Diktat eines Herrn schrieb Thorn, sondern in eigenen Worten.
    Hört mir zu, die ihr lebt und diese Seiten lest, welche ich schrieb, als ich lebte wie ihr. Dies ist die wahre Geschichte einer vergangenen Zeit. Vielleicht hat sich inzwischen viel Staub angesammelt auf diesen Seiten, und ihr kennt die alten Tage nur noch aus den Liedern eurer Sänger. Leider!
    Verändert doch jeder Sänger die Geschichte, von der er singt. Er stutzt sie zurecht und schmückt sie aus, um seine Zuhörer zu betören oder seinem Herrn, Herrscher oder Gott zu schmeicheln oder dessen Feinde zu schmähen, bis die Wahrheit hinter einem Schleier von Lobhudelei und Lügen verschwindet. Damit die Wahrheit dessen, was zu meiner Zeit geschah, bekannt sein möge, schreibe ich sie hier nieder, ohne Ausschmückung, Parteinahme oder Furcht vor Rache.
    Doch am besten erzähle ich euch zunächst von mir, von
    etwas ganz Bestimmtem, von dem zu meiner Zeit nur sehr wenige wußten. Ihr, die ihr diese Seiten lest, ob Mann, Frau oder Eunuch, müßt wissen, daß ich anders war als ihr.
    Wüßtet ihr dies nicht, so könntet ihr vieles von dem, wovon ich später erzählen werde, nicht verstehen. Lange habe ich darüber nachgedacht, wie ich erklären kann, warum ich so anders war - wie ich es erklären kann, ohne daß ihr voller Abscheu zurückschreckt oder verächtlich lacht -, aber es gibt keine Möglichkeit, der Wahrheit auszuweichen. Damit ihr deshalb versteht, warum ich anders war als alle anderen Menschen, halte ich es für das Beste, wenn ich berichte, wie ich es selbst feststellte.
    Es geschah, als ich noch ein Kind war und in jenem
    großen, runden Tal lebte, das man Balsan Hrinkhen nennt.
    Ich mag zwölf gewesen sein und arbeitete als Küchenjunge in der Klosterküche, und ein gewisser Bruder Petrus war damals Küchenmeister. Bruder Petrus stammte aus Burgund und hatte in der Welt draußen Willaume Robei geheißen. Er war mittleren Alters und stämmig, sein Atem ging pfeifend, und sein Gesicht war so rot, daß man die weiße Tonsur
    inmitten seiner grau werdenden roten Haare für ein leinenes Käppchen hätte halten können. Da er erst vor kurzem zu uns gekommen war, war er in der Rangfolge der Mönche der
    Abtei St. Damian des Märtyrers der geringste, und man hatte ihn deshalb zum Küchenmeister bestimmt, eine Arbeit, die bei den anderen Mönchen besonders unbeliebt war. Bruder Petrus wußte, daß seine Mitbrüder keinen Fuß in die Küche setzten, wenn er dort kochte, aus Furcht, gleich für
    irgendeinen Dienst angestellt zu werden. Er wähnte sich deshalb vor Überraschungen und unliebsamen Störungen
    sicher, als er meine Kutte hinten lüpfte, mir liebevoll den nackten Hintern tätschelte und mit seinem harten
    burgundischen Akzent sagte: »Was hast du für ein reizendes Hinterteil, Bürschchen. Und du hast, offen gesagt, auch ein ganz hübsches Gesicht, wenn es sauber ist.«
    Ich war verwirrt über die intime Berührung, aber vor allem kränkten mich seine

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