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Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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die Bitte die ich später an Euch richten möchte, ist nicht materieller Natur Zunächst einmal bin ich jedoch gekommen, um mich im Namen
    Theoderichs aufs herzlichste für die Unterstützung zu
    bedanken die Ihr uns bereits habt zuteil werden lassen.
    Theoderich vertraut darauf, daß es ihm mit Hilfe Eurer rugischen Armee gelingen wird, seinen rechtmäßigen
    Herrschaftsanspruch über die Ostgoten und all ihre Gebiete durchzusetzen. Sobald er König ist, wird er Euch großzügig für Euren Beistand belohnen und Euch als seine Kusine
    ebenso an der Macht beteiligen wie jeden anderen Vetter aus der herrschenden amalischen Linie.«
    Es war mir gelungen, die Königin freundlicher zu stimmen.
    Sie entblößte sogar ihre langen Zähne zu einem leichten Lächeln. Also fuhr ich fort: »Da Theoderich fest damit rechnet, daß dieser Krieg glücklich ausgehen wird, wünscht er, daß die Geschichte der erhabenen, amalischen Linie von ihren frühesten Anfängen bis zur Gegenwart
    niedergeschrieben wird. Die ganze Welt soll etwas über die Ursprünge und die bewunderungswürdigen Verdienste
    seiner und Eurer Familie erfahren; und ich soll in seinem Auftrag diese Geschichte verfassen.«
    »Ein verdienstvolles Unterfangen«, sagte sie mit einem noch breiteren Lächeln, das nun auch noch das Zahnfleisch über ihren großen Zähnen freilegte. »Es hat unsere volle Zustimmung.«
    »Daher, Eure Hoheit, soll ich Euch bei dieser Gelegenheit auch darum bitten, mich mit dieser Küste und ihrer
    Geschichte vertraut machen zu dürfen, denn es heißt, daß die ersten Goten, die ihre Heimatregion im hohen Norden verließen und mit ihren Schiffen über das Meer zum
    europäischen Kontinent fuhren, hier gelandet sind.«
    »Ja, das wird erzählt; natürlich bin ich mit Euren
    Nachforschungen einverstanden, Saio Thorn. Können wir
    Euch bei Eurer Arbeit in irgendeiner Weise behilflich sein?
    Sollen wir Euch vielleicht einen kundigen Führer zur
    Verfügung stellen?«
    »Das wäre sehr freundlich von Euch, Majestät. Und ich
    habe mir überlegt... daß es mir sicher leichter fallen würde, Euer edles Königshaus in dieser Geschichte der Amaler
    angemessen und ausführlich zu würdigen, wenn Ihr mir den jungen Prinz Frido als Führer und Berichterstatter zur Seite stellen könntet.«
    Der eben noch so niedergeschlagene Junge strahlte. Sein Gesicht verfinsterte sich jedoch augenblicklich wieder, als seine Mutter geringschätzig bemerkte: »Vai, der Junge ist über die rugischen Vorfahren seines Vaters viel besser unterrichtet als über die Goten.«
    »Dann nehme ich an, Majestät, daß er auch das rugische Germanisch beherrscht. Diesen Dialekt unserer alten
    Sprache spreche ich nur sehr schlecht.«
    »Ja waila, er beherrscht sogar das rohe Slowenisch der Kaschuben, das diese selbst kaum aussprechen können«,
    wieherte Giso heiter durch ihre Pferdezähne.
    »Hervorragend! Er wäre mir hier als Dolmetscher wirklich von unschätzbarem Wert!« Der Prinz fühlte sich sichtlich unbehaglich, weil wir die ganze Zeit lang in der dritten Person über ihn gesprochen hatten, daher wandte ich mich nun direkt an ihn: »Würdet Ihr mir diesen Gefallen und diese Ehre erweisen, Prinz Frido?«
    Erst als seine immer noch sehr skeptische Mutter
    widerwillig genickt hatte, antwortete mir der erfreute Junge scheu: »Ja, gerne, Saio Thorn.«
    Am nächsten Tag zeigte mir der junge Frido voller
    Besitzerstolz die rugische Hauptstadt, in der es allerdings nicht viel zu sehen gab, weil sie hauptsächlich als
    Umschlaghafen für die Erzeugnisse anderer Regionen
    diente. In der Gegend um Pomore gab es nur Bernstein,
    daher führte mich Frido in verschiedene
    Steinschneidewerkstätten, wo ich zusehen konnte, wie
    dieses Material zu Perlen, Spangen und Fibeln verarbeitet wurde.
    Frido gab einen guten Fremdenführer ab, denn er war ein sehr umgänglicher Bursche, und die Hochnäsigkeit seiner Mutter war ihm völlig fremd. Außerhalb ihrer Reichweite war er ein ganz normaler, aufgeweckter und fröhlicher Junge, jedenfalls solange man ihn nicht an sie erinnerte. Als ich ihn fragte, ob sie der Grund gewesen sei, daß er seinen Vater, den König, nicht auf diesem Marsch begleitet habe, machte er wieder sein niedergeschlagenes Gesicht und murmelte:
    »Mutter sagt, ich sei noch zu jung, um in den Krieg zu ziehen.«
    »Mutterliebe«, sagte ich leise, und die Erinnerungen, die mir dabei in den Sinn kamen, ließen mich darüber lachen, daß ausgerechnet ich dieses Wort in den Mund

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