Der Greifenmagier 2 - Land des Feuers
leer und still vor, als er es schließlich geschafft hatte, die Tür so weit aufzudrücken, dass er sich hindurchquetschen konnte. Die Fensterläden waren nicht nur zerbrochen, sondern fehlten nahezu völlig. Nur noch Splitter hingen an den verformten Messingangeln. Die Tür zum Küchengarten fehlte ebenfalls. Und der Garten selbst: verschwunden. Begraben unter Sand, der sich draußen viel höher gehäuft hatte als im Haus. Ein Staubwirbel bewegte sich in einer Mauerecke, wo eine Birke mit weißer Rinde gestanden hatte. Von dem Baum war keine Spur mehr zu sehen. Gerent konnte das Stadthaus der Fellestedens sehen, aber ... Es war zerstört und fast nicht wiederzuerkennen: das halbe Dach und Teile der Wand eingestürzt, das Mauergestein vom wehenden Sand tief zerfurcht. Das Haus sah aus, als wäre es vor hundert Jahren verlassen worden. Oder vor zweihundert.
Außerhalb des Hauses der Antirdans war alles versunken in schwerem Licht und rotem Sand.
Nach dem Sonnenstand zu urteilen, war später Nachmittag. Gerent schob Sand von der Küchentür weg und kehrte in den Keller zurück. Er hatte das Gefühl, als wäre selbst der untere Keller inzwischen trockener und wärmer, als wäre der Geruch nach heißem Gestein auch hier wahrnehmbar. Er schloss die schwere Kellertür, blickte auf den roten Staub hinab, der sich auf dem Boden niedergeschlagen hatte, und fragte sich, wie weit sich die Wüste nun ausgedehnt hatte.
Seine Vorräte ... Er hatte zu keinem Zeitpunkt gedacht, dass er reichhaltig versorgt war. Er hatte jedoch geglaubt, seine Vorräte reichten immerhin aus. Jetzt dachte er an die machtvolle Hitze und den roten Sand und versuchte, nicht daran zu zweifeln, ob er genügend Vorräte besaß.
Als an diesem Abend die starke Sonne im Westen unterging, saß Gerent im Schatten einer Mauerruine. Er wartete auf den Sonnenuntergang und blickte über die Ruinen von Melentser hinaus. Die Sonne war blutrot und riesig; ihr Purpurlicht strömte über geborstenen Stein und zerstörte Ziegel, über Straßen, die unter Sandverwehungen lagen. Staubschleier hingen in der Luft, die nach heißem Stein und heißem Messing roch. Vereinzelt waren dieser neuen Wüste schmale Finger aus schartigem rotem Gestein entwachsen: eine neue, nicht menschliche Architektur aus verformten, scharfkantigen Türmen. Diese seltsamen Klippen ähnelten nichts, was Gerent je gesehen hatte. Sie durchbohrten die Straßen, zerschmetterten Stadthäuser und griffen mit scharfen Fingern nach dem Himmel. Falls eine dieser Nadeln unter dem Antirdan-Haus den Boden durchstoßen hätte ... Aber obzwar er unter den Gedankenbildern zusammenzuckte, die sich ihm aufdrängten, war nichts dergleichen geschehen. Jetzt warfen die roten Türme lange Schatten über die verwüstete Stadt.
Zwischen diesen Türmen bewegte sich nichts außer den kriechenden Schatten und dem Treibsand. Und den Greifen. Etwa ein Dutzend von ihnen waren jederzeit zu sehen, wenn auch selten in seiner Nähe. Drei von ihnen zogen jedoch ihre Bahn über Gerent hinweg, als der Himmel dunkel wurde – so nahe, dass Gerent den Wind zwischen den Federn ihrer Schwingen rauschen zu hören glaubte. Er blickte hinauf und versuchte, im recht zweifelhaften Schutz seiner Mauer ganz klein und still zu bleiben. Falls die Greifen ihn sahen, scherten sie sich nicht um ihn: Sie flogen geradlinig wie Speere über den Himmel und verschwanden wieder.
Die Greifen waren größer, als er erwartet hatte, und ... unterschieden sich noch in anderer Hinsicht von den Kreaturen seiner Vorstellungswelt, auch wenn er diese Unterschiede nicht richtig definieren konnte. Die Greifen wirkten auf ihn wie Geschöpfe eines mächtigen Schmieds: Gefieder aus Bronze und Kupfer, Felle aus Gold ... Gerent hatte gehört, dass ihr Blut in Form von Granaten und Rubinen floss. Er zweifelte daran. Wie hätte irgendjemand das herausfinden sollen? Einen mit dem Speer stechen und dann warten und zusehen, wie er blutete? Das schien keine Vorgehensweise zu sein, nach der jemand noch einen Bericht schreiben könnte.
Die Schatten breiteten sich aus und legten sich über die roten Klippen, die Straßen und den Küchenhof, wo einst der Garten gewesen war. Am Himmel kamen die Sterne zum Vorschein. Sie wirkten seltsam hart und fern, aber die Sternbilder hatten sich, wie Gerent feststellte, dankenswerterweise nicht verändert. Er glaubte, dass die Sterne und die dünne Mondsichel genug Licht spendeten, um ihm den Weg zu weisen, wenn er bedachtsam voranschreiten
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