DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde
möchtet Ihr tragen? Wenn Ihre Majestät mit am Frühstückstisch sitzt … Denkt Ihr, das blaue Kleid würde passen?«
Maianthe zögerte. »Die Königin hat sogar auf Reisen so wunderschöne Sachen dabei. Und alle ihre Damen … Vielleicht das grüne?«
Karin lachte. »Oh, also dann unbedingt das grüne! Ich lege es für Euch bereit. Oh, da kommt ja doch Emnis!« Sie beförderte Maianthes abgelegte Kleidung rasch mit einem Tritt hinter die Tür, sodass man sie nicht mehr sehen konnte, reichte ihrer Herrin die Seife und machte sich auf den Weg zum Kleiderschrank, wobei sie noch über die Schulter sagte: »Erzählt Ihr mir dann später all die Teile der Geschichte, die Ihr für Ihre Majestät auslasst?« Womit sie meinte: sobald Emnis nicht mehr dabei sein würde und nicht mehr entsetzt reagieren könnte.
Maianthes Oberzofe erschien unter der Tür und schnalzte über den Zustand von Maianthes Haaren in leichter Missbilligung mit der Zunge. Emnis wirkte so rundum alltäglich, dass Maianthe selbst fast glaubte, dass ihr nichts Ungewöhnliches geschehen war oder jemals geschehen würde.
Emnis kümmerte sich um Maianthe, seit diese ins große Haus gezogen war. Sie war weder besonders hübsch noch irgendwie klug, und sie sorgte sich schon, wenn Maianthe ihre Kleider schmutzig machte oder Schmutz unter den Fingernägeln hatte; aber sie war freundlich und fröhlich. Während sie Maianthe half, die Haare zu waschen, murmelte sie ständig irgendetwas – eine leise Stimme, die so angenehm klang und beinahe so bedeutungslos war wie das Plätschern eines Flusses: Wollte Maianthe wieder das grüne Kleid tragen oder das weiße mit den Blumenmustern? Und erwartete sie, heute hinaus in den Garten zu gehen? Dann kam das weiße Kleid sicherlich nicht in Frage. Wollte sie diese neuen Hausschuhe mit den hübschen Stickereien auf den Zehen tragen? Jetzt aber Vorsicht, wenn sie aus dem Bad stieg! Ob Maianthe sich jetzt wohl nur für einen Moment ruhig hinsetzte, damit sie, Emnis, ihr das Haar ein wenig trocknen konnte, ehe sie es zu einem Zopf flocht und hochsteckte? Und nein, zum Glück war keine Spur Sumpfgeruch mehr festzustellen. Erde und Eisen, man könnte glatt denken, dass Maianthe die ganze Nacht lang durch den Sumpf geschwommen war! Hier, vielleicht ein klein wenig von dem Rosenöl unter den Ohren, nur um sicherzugehen.
Nein, dachte Maianthe. Im ganzen Haushalt war Emnis vermutlich diejenige Person, die am wenigsten Neugier im Hinblick auf die aktuellen Ereignisse zeigte und die am wenigsten geneigt war, Gerüchten zu lauschen und sie weiterzugeben. Maianthe fand das richtig beruhigend. Sie ließ sich von Karin die Hausschuhe mit den Stickereien auf den Kappen bringen. Anschließend stand sie einen Augenblick lang nur da, betrachtete die Zofen und die behaglichen Räume ringsherum und dachte im Grunde zum ersten Mal, dass sie beim Abenteuer in der zurückliegenden Nacht vielleicht wirklich all das hätte verlieren können. Wären sie an jener Scheune auf einen ganzen Trupp Linulariner Soldaten gestoßen … Hätten sie auf dem Heimweg Schwierigkeiten bekommen … Hätte dem Linulariner Spionagemeister Gesellschaft ein Magier zur Seite gestanden, was wohl zu Beginn der Entführung der Fall gewesen war … Nun ja, der Rettungstrupp hatte jedenfalls keinen Magier dabeigehabt – es sei denn, Maianthe persönlich … Doch das schien einfach nur albern. Aber … alles Mögliche hätte passieren können. Das hattesie die ganze Zeit lang gewusst, doch irgendwie eben nicht richtig gewusst – bis zu diesem Augenblick, wo alles vorüber war und alle wieder in Sicherheit waren. Sie zitterte.
»Ist Euch kalt?«, fragte Emnis besorgt und tätschelte Maianthe die Hand. »Eure Hände sind kalt!«, rief sie und machte sich auf, einen langen Schal in Dunkelgrün und Gold zu holen, der zum Kleid ihrer Herrin passte.
Maianthe traf Anstalten zu erklären, dass sie keineswegs fror, nicht wirklich jedenfalls. Dass sie nur im Rückblick erschrocken war festzustellen, wie … na ja, wie gedankenlos und wie töricht sie im Grunde gehandelt hatte, was sie sich jetzt selbst eingestehen musste. Dann versuchte sie letztlich doch nicht, es den Zofen zu erklären. Sie nahm einfach den Schal, wickelte ihn sich um den Hals und machte sich auf den Weg zur Königin und zum Frühstück.
Es gab weiche Rühreier, Honigbrötchen, kaltes, in dünne Scheiben geschnittenes Rindfleisch, Schinken und reichlich Apfelwein aus dem vergangenen Herbst, der
Weitere Kostenlose Bücher