DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde
fand, sehr gut zu einem Wachhauptmann: Es war grobknochig, recht derb und ungewöhnlich schwer zu durchschauen. Vermutlich schnitt er im Spiel mit den Pian-Steinen gut ab; niemand würde seiner Miene entnehmen können, welche Steine er in der Hinterhand hielt. Jetzt allerdings konnte sie unschwer erkennen, dass es ihm nicht gefiel, einen Befehl von Temnan entgegenzunehmen, ob dieser nun königlicher Gardehauptmann war oder nicht. Eilig fügte sie hinzu: »Falls Ihr so gut wärt, Geroen.«
Geroen nickte steif und verließ kurz das Zimmer, um die Anweisung weiterzugeben.
»Gewöhnlich erwartet man von einem Rechtskundigen, dass er Verträge aufsetzt«, sagte die Königin nachdenklich. »Ich frage mich, was für einen Vertrag diese Männer von Tan formuliert haben wollten? Nun, und was geschah danach?« Sie hörte konzentriert und schweigsam zu, aber sobald Maianthe ihre Ausführungen beendet hatte, fragte sie: »Aber warum haben sie Tan mit solchem Einsatz verfolgt?«
»Um persönlich Rache zu nehmen?«, mutmaßte Temnan.
Maianthe blickte Geroen zweifelnd an. »Seid Ihr auch dieser Meinung?«
Der Hauptmann zögerte erst, schüttelte dann den Kopf. »Meine Dame … Nein. Wenn Ihr mich so fragt, lautet meine Antwort Nein. Ich habe Tan noch nicht befragt, denn er sah nicht danach aus, als wäre er in der Verfassung, mir zu antworten. Aber was in der Scheune geschah, das war ein Verhör; das ist meine Auffassung. Da hat sich nicht irgendein Linulariner Narr in ein wildes Abenteuer gestürzt, um sich an einem persönlichen Widersacher zu rächen. Tan hat gesagt … Mal überlegen! Etwas in der Art: Das war nicht irgendein kleiner Straßenschläger; das war der Linulariner Spionagemeister. ›Der‹ Spionagemeister, sagte er, nicht ›ein‹ Spionagemeister. Er erwähnte sogar dessen Namen: Istierinan.«
»Ich erinnere mich an diesen Namen …«, begann Maianthe.
Ein Wachmann aus Geroens Truppe betrat das Zimmer, ehe sie den Gedanken zu Ende führen konnte. Der Mann beugte sich vor und murmelte dem Hauptmann etwas zu.
»Tan?«, fragte Maianthe.
»Er ist bewusstlos, und man erwartet, dass er es noch auf einige Zeit bleibt«, antwortete Geroen und schickte den Mann mit einem knappen Nicken wieder hinaus. »Ich werde meine Männer anweisen, dass jeder von ihnen Tan wie seinen eigenen Augapfel bewacht. Allerdings weiß ich noch immer nicht, wie diese Linulariner Agenten meine Männer beim ersten Versuch überwinden konnten.«
»Ich werde meinen Männern befehlen, zusammen mit Euren aufzupassen«, sagte Temnan und setzte in leicht hochnäsigem Ton hinzu: »Falls Ihr mir gestattet, Hauptmann Geroen, und falls Ihre Majestät einverstanden ist. Ich habe Männer aus Tiearanan dabei, die Zauberwerk vielleicht schon im Ansatz bemerken.«
Geroen zögerte nur ganz kurz und nickte dann unwirsch.
»Nur um sicherzugehen«, pflichtete ihnen Naithe bei.
»Ich werde mich zu Tan setzen …«, begann Maianthe, überraschte sich dann aber selbst mit einem herzhaften Gähnen, sodass sie den Satz nicht zu Ende brachte. Sie hielt sich die Hand vor dem Mund und blinzelte, als ihre Augen auf einmal nur noch verschwommen sahen.
»Das werdet Ihr nicht!«, erklärte die Königin entschieden. »Ich bin sicher, dass Eure Wachleute für seine Sicherheit sorgen können. Ihr geht zu Bett, Maianthe, auch wenn gerade erst die Frühstückszeit vorüber ist. Schlaft bis Mittag, wenn Ihr möchtet – oder bis zum Abendbrot.« Sie stand auf, kam um den Tisch herum und legte Maianthe eine Hand auf die Schulter. »Schlaft gut und sorgt Euch nicht. Wir sind jetzt alle wachsam. Ich kann mir kaum vorstellen, dass es irgendein Linulariner Agent erneut probiert. Und nur um sicherzugehen, schicke ich auch einen offiziellen Kurier über den Fluss und lasse nachfragen, ob Linularinum gezielt versucht hat, Farabiand zu provozieren. Das müsste sie nachdenklich stimmen.«
Maianthe dachte das auch. Sie hoffte, dass derjenige, der Tan zu entführen versucht hatte, jetzt in der Klemme steckte. »Gut«, sagte sie und erhob sich steif.
Kapitel 5
Tan langweilte sich fürchterlich. Die Dienstboten waren sehr hilfreich, was das Aufschütteln der Kissen anbetraf, zeigten sich aber nicht besonders entgegenkommend, wenn es um die Beschaffung von Büchern, Schreibmaterial oder sonst etwas ging, das ihm einen Grund bot, sich aufrecht hinzusetzen. Iriene hatte klar und deutlich befohlen, dass Tan auf dem Rücken liegen, sein verletztes Bein erhöht auf einem Kissen
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