Der Gringo Trail: Ein absurd komischer Road-Trip durch Südamerika
Hof saß, als wir hereinkamen. Das Haus öffnete sich nach hin ten in einen von drei Seiten umschlossenen Hof. Katzen, Hunde, Hühner und Schweine schnüffelten auf der Suche nach Nahrung im Boden herum. Die Schlafzimmer hatten hohe, altmodische Betten und schwere geblümte Vorhänge. Die Besitzerin war ei ne matronenhafte, energetische Dame namens Doña Silviana, die hausgemachte Mahlzeiten servierte und in einem holzgefeu erten Ofen im Hof Pizza buk. Wenn wir wandern gingen, machte Doña Silviana ein großes Aufhebens darum: Sie gab uns belegte Brote, nahm uns das Versprechen ab, uns nicht zu verlaufen und kontrollierte, dass wir warm eingepackt waren. Susie hatte Recht gehabt. Es war genau wie ein Besuch bei Muttern. Die Pension hieß Hogar Donaldo, weil Doña Silviana 32 , die sich nicht damit zufriedengeben konnte, einen Bauernhof und eine Pension zu be treiben, tagsüber auch Kinder aus – wie sie es nannte – „Problem familien“ aufnahm.
---32 Im Spanischen sind die Titel Doña und Don keine Vornamen, sondern Respektsbezeugungen.
Jeden Morgen tauchten ein Dutzend Kinder auf, setzten sich ängstlich hin und brachen in Tränen aus, als ihre Mütter gingen. Bis zum Nachmittag waren sie dann soweit, dass sie durch den Hof rasten und Hühner und sich gegenseitig jagten. Dann bra chen sie wieder in Tränen aus, als ihre Mütter kamen, um sie wie der mitzunehmen. Eines Nachmittags verursachte Melissa eine kleine Sensation in der Billard-Halle – und zwar nicht nur durch ihre Anwesenheit, sondern indem sie tatsächlich die Kugeln versenkte. Irgendwann wurde ihr die Größe des Publikums zu viel. „Ich kann nicht richtig spielen, wenn mir 50 Kerle dabei zuse hen“, meckerte sie.
Niemand konnte glauben, dass eine Frau Billard spielen konnte. Die Billard-Hallen in Kolumbien sind so ausschließliche Män nerdomänen, dass die Urinale direkt neben den Tischen stehen. Wenn man rückwärts zielen könnte, könnte man einen Stoß ma chen und gleichzeitig pissen. Wenigstens musste man keine Angst haben, dass der Gegner betrog, wenn man aufs Klo ging. Uns fiel auf, dass kolumbianische Männer jeden Stoß so hart wie möglich ausführten. Vermutlich war es eine Macho-Sache. Der Trick be stand darin, die Kugeln direkt vor die Löcher zu setzen. Sie schos sen sie immer wieder mit voller Wucht aus dem Loch heraus.
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Die Statuen
An manchen Tagen gingen wir mit Stefano reiten, um die Sta tuen zu sehen. In den umgebenden Bergen gab es hunderte davon. Diese entzückend komischen Tiere und Fantasiemonster bil den einen der archäologischen Schätze des amerikanischen Kon tinents. Trotzdem ist fast nichts über die Menschen bekannt, die sie geschaffen haben, außer dass ihre Kultur offensichtlich viele Jahrhunderte überdauert hat. Die Statuen geben spannende, aber leider sehr dürftige Hinweise. Zum Beispiel stellen viele von ihnen Männer mit Jaguar-Zähnen dar. Andere stellen Männer dar, die Penisscheiden tragen. Solche „Regenwald“-Motive (die man auch an anderen Orten in den Anden findet) deuten darauf hin, dass die Hochlandkultur der Anden, die schließlich die Inkas hervorge bracht hat, ursprünglich vom Amazonas gekommen sein könnte.
San Agustín liegt an einem besonderen Punkt in Südame rika: Einer Dreier-Wasserscheide. Von hier aus fließen Flüsse nach Norden in den Rio Magdalena und hinunter zur Karibik, nach Westen zum Pazifik und nach Osten über den Amazonas in den Atlantik. Die einfachste Nord-Süd-Reiseroute folgt dem Rio Magdalena nach San Agustín, überquert diese Wasserscheide und verläuft dann nach Süden entlang einiger Nebenflüsse des Amazonas in das zentrale Tal Ecuadors. Daher beherrscht San Agustín eine der wichtigsten Handelsstraßen des Kontinents, und so könnte auch seine mysteriöse Zivilisation eine zentrale Rolle in der frühen Geschichte des Kontinents gespielt haben. Soviel zu den Fragmenten, die einen so großen Teil der Ge schichte Südamerikas vor der Eroberung ausmachen.
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Visualisierung
Als wir draußen vor dem Hogar Donaldo saßen, fragte ich Me lissa, wie sie den Krebs besiegt hatte. „Visualisierung“, erklärte Melissa. „Was?“ „Man muss sich selbst davon überzeugen, dass man eine Krank heit besiegen kann. Dann passiert es sozusagen … von selbst. Ich weiß nicht. Aber es reicht nicht, es sich nur zu wünschen. Man muss daran glauben. Man benutzt eine …“ Melissa überlegte. „Wie heißt das, wenn man etwas vergleicht. Eine
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