Der Gringo Trail: Ein absurd komischer Road-Trip durch Südamerika
einstellen.“
Sie hatten die Wohnung von einem Schweizer namens Jan ge mietet, einem Reisenden, der sich zum Bleiben entschlossen hat te. Jan kannte die besten, geheimsten San-Pedro-Plätze. Er nahm Mark und Campbell mit in die Berge, um ein paar Kaktusse zu ernten. „Man kann es im Dorf kaufen“, erklärte Mark. „Aber wenn man es kauft, hat es nicht denselben Effekt. Für die besten Trips muss man die Pflanzen selbst finden oder sie geschenkt bekom men.“ Jan nahm sich Mark an wie einem lange verlorenen Bruder. Phillipe (ein Franzose, der mit einem echten Komödien-Akzent Englisch sprach) sagte: „Err immer spricht von Marrk. Jan immerr mag die, wie sagt man, die außerrgewöhnlischen Leute wie ihn.“
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Das Tor zum Paradies
„Das ist San Pedro“, erklärte Mark und skizzierte einen hohen, etwas stacheligen, stabförmigen Kaktus. In der Wissenschaft von der Drogenherstellung war Mark immer sehr präzise. „Die äu ßere Schale und den Kern wirft man weg und kocht dann das Fleisch für sieben oder acht Stunden, bis man eine milchshake dicke Flüssigkeit bekommt. Ein Stück, das vom Ellenbogen zum Handgelenk reicht, genügt für einen. Der wichtigste psychoaktive Inhaltsstoff ist Meskalin, genau wie beim Peyote.“
Halluzinogene Drogen sind für den südamerikanischen Scha manismus von zentraler Bedeutung; San Pedro ist wahrscheinlich seit über 3000 Jahren in Gebrauch. Zeichnungen von gottähn lichen Gestalten, die San Pedro Kaktusse in der Hand halten, wurden auf Keramiken und Reliefs in Chavín de Huantar in Peru gefunden; sie stammten ungefähr aus dem Jahr 1200 v.Chr. Die spanische Inquisition verbot San Pedro als Häresie. Konsu menten wurden gefoltert und/oder getötet. Der Konsum wurde aber weiter gepflegt, vor allem an der peruanischen Nordküste. Die Pflanze wurde nach Sankt Petrus neu benannt, der in der christlichen Mythologie den Eingang zum Paradies bewacht. Ei ne geeignete Wahl für eine Pflanze, die – so der Glaube – ein Tor in eine andere Wirklichkeit öffnet.
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Die Kante
Einmal fragte ich Mark, warum er dieses Zeug nahm. „Ich habe diese Vorstellung“, entgegnete er. „Ich stelle mir eine riesige Klippe in einer Welt aus Dunkelheit vor. Über der Klip pe lebt ein Stamm von Höhlenbewohnern. 42
---42 Philosophische Typen erkennen darin eine Neugestaltung von Platons Höhlengleichnis.
Sie unterhalten am Höhleneingang ein ständiges Feuer. Das Feuer erhellt die Höhle, aber dadurch wird draußen alles noch dunkler und undeutlicher. Die Höhlenbewohner fragen sich, was draußen sein mag, aber sie haben Angst, die Sicherheit der Höhle zu verlassen. Schließlich vergessen sie, dass draußen etwas ist und betrachten die Höhle als die ganze Welt. Ein paar von ihnen kriechen aber hinaus auf die dunkle Klippe. Sie tasten sich langsam nach vorn, bis sie die Kante spüren. Denn die Dinge definieren sich durch ihre Ränder. Denk mal nach. Wie kann man sich eine Sache vorstellen, wenn man ihre Ränder nicht erkennen kann?
Es gibt immer Menschen, die über das Alltägliche hinausgehen. Mystiker, Schamanen, Meditierende, Wissenschaftler, Künstler, Bergsteiger, LSD-Freaks, Masochisten, Perverse … interessant ist aber, was die Schamanen dazu sagen: Dass man seine Angst kon frontieren muss, wenn man sich Wissen aneignen will. Das denke ich auch. Es ist die Angst, die die meisten Menschen davon abhält, das Universum um sich herum zu erforschen. Das erscheint mir wie eine Verschwendung. Ich habe einen Sinn im Leben – und ich denke das ist er: Ich will bis zum Äußersten gehen.“
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Räuber und Gendarm
Von Vilcabamba aus machten Mark und Campbell sich auf den Weg durch Ecuador und Kolumbien und folgten uns auf dem Gringo Trail durch San Agustín nach Cali und Bogotá.
Es gab zwei Arten, Kolumbien zu bereisen. Trotz seines Rufs hatten Melissa und ich die Erfahrung gemacht, dass man dieses wunderschöne Land fast ohne einen Hauch von Drogen oder Är ger auf ganzer Länge durchreisen kann. Mark hatte die andere Methode gewählt.
Zunächst war er in Cali verhaftet worden, weil er Koks von einem Dealer gekauft hatte, der sich als Polizist in Zivil entpupp te. Er konnte wählen zwischen einem kolumbianischen Knast mit Desperados, Mördern und weiß Gott was noch – oder einer Geldbuße. Und wie hoch sollte die Geldbuße sein? Der Polizist erklärte, dass er so viel akzeptieren würde, wie Mark zufällig bei sich hätte. Er durchsuchte ihn schnell. Wie immer
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