Der größere Teil der Welt - Roman
»Er wird anrufen«, sagte es und lächelte. Kleine, regelmäßige Zähne, wie man sie durch Zahnspangen bekommt. »Ich sorg dafür.«
Ich nickte, drehte mich um und ließ die Junkies hinter mir zurück. Ich ging nach Norden und zwang meine Augen, so weit zu blicken, wie sie konnten. Aber die Joggerin war verschwunden, während ich weggeschaut hatte.
»Hey«, hörte ich hinter mir zwei raue Stimmen. Als ich mich umdrehte, riefen sie beide gleichzeitig »danke«.
Es war lange her, dass jemand mir für irgendetwas gedankt hatte. »Danke«, sagte ich zu mir selbst. Ich sagte es immer wieder, ich wollte den genauen Klang ihrer Stimmen in Erinnerung behalten und das Gefühl der Überraschung festhalten.
Hat warme Frühlingsluft etwas an sich, das Vögel dazu bringt, lauter zu singen?, fragte ich mich, während ich die Brücke über den FDR Drive zur East Sixth Street überquerte. Die Bäume begannen gerade zu blühen. Ich wanderte unter ihnen hindurch und roch die staubigen Pollen, während ich nach Hause lief. Ich wollte auf dem Weg zur Arbeit mein Jackett in die Reinigung bringen – ich freute mich schon seit gestern darauf. Ich hatte das Jackett achtlos neben mein Bett auf den Boden geworfen, und so würde ich es abliefern, total zerknüllt. Ich würde es wie nebenbei auf die Theke fallen lassen und das Mädchen in der Reinigung herausfordern, zu protestieren. Aber wie hätte es gegen mich eine Chance haben sollen?
Ich war unterwegs, und jetzt muss mein Jackett gereinigt werden, würde ich sagen, so wie jeder andere. Und sie würde dafür sorgen, dass es wieder wie neu wäre.
B
7
Von A nach B
I
Stephanie und Bennie wohnten bereits seit einem Jahr in Crandale, als sie endlich zu einer Party eingeladen wurden. Fremde waren dort nicht sehr willkommen. Sie hatten das gewusst, ehe sie hingezogen waren, und es war ihnen egal gewesen – sie hatten ihre eigenen Freunde. Aber es machte Stephanie mehr zu schaffen, als sie erwartet hatte, wenn sie Chris in den Kindergarten brachte und einer blonden Mutter, die ihre blonden Kinder aus dem SUV oder Hummer-Geländewagen hob, zulächelte oder winkte und nur ein verkniffenes, fragendes Lächeln zurückbekam, das heißen sollte: Wer warst du gleich noch mal? Wie konnte sie das nicht wissen, nachdem sie einander seit Monaten täglich begegnet waren? Sie war versnobt oder eine Idiotin oder beides, sagte Stephanie sich, und doch fühlte sie sich von dieser Kälte auf unerklärliche Weise verletzt.
Während dieses ersten Winters in der Stadt schlug die Schwester eines der Künstler von Bennie sie für die Mitgliedschaft im Crandale Country Club vor. Nach einer Prozedur, die kaum anstrengender war als die Beantragung der Staatsbürgerschaft, wurden sie Ende Juni aufgenommen. An ihrem ersten Tag brachten sie Badeanzüge und Handtücher mit in den Club, da sie nicht wussten, dass der CCC (wie er genannt wurde) seine eigenen einfarbigen Handtücher zur Verfügung stellte, um eine Disharmonie der Farben am Beckenrand zu verhindern. In der Damenumkleide kam Stephanie an einer der Blondinen vorbei, deren Kinder auf Chris’ Schule gingen, und zum ersten Mal erhielt sie eine echte Begrüßung, da ihr Auftauchen an zwei unterschiedlichen Orten offenbar eine mathematische Grundlage geliefert hatte, die Kathy als Beweis für ihre Existenz benötigte. So hieß sie: Kathy. Stephanie hatte das von Anfang an gewusst.
Kathy hielt einen Tennisschläger in der Hand. Sie trug ein winziges weißes Kleid, unter dem weiße Tennisshorts, kaum mehr als eine Unterhose, gerade noch zu sehen waren. Ihre wundersame Gebärfreudigkeit hatte keinerlei Spuren hinterlassen, ihre Taille war schmal, ihr Bizeps gebräunt. Ihre glänzenden Haare waren zu einem festen Pferdeschwanz gebunden, widerspenstige Strähnen wurden mit goldenen Haarklammern gesichert.
Stephanie zog ihren Badeanzug an und traf sich mit Bennie und Chris an der Snackbar. Sie standen unsicher mit ihren bunten Handtüchern herum, als Stephanie das ferne Ploppenvon Tennisbällen erkannte. Das Geräusch löste einen Sturm nostalgischer Gefühle bei ihr aus. Wie Bennie kam sie aus dem Nirgendwo, allerdings einer anderen Art Nirgendwo – seine war die urbane Einöde von Daly City, Kalifornien, wo seine Eltern gearbeitet und sich durch ständige Abwesenheit ausgezeichnet hatten, während Bennie und seine vier Schwestern von einer müden Großmutter aufgezogen wurden. Aber Stephanie stammte aus einem spießigen Vorort des Mittleren Westens, wo
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