Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der groesste Teil der Welt

Der groesste Teil der Welt

Titel: Der groesste Teil der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Egan
Vom Netzwerk:
Hawaii-Steelgitarre mit Slide - hast du so was schon mal live gehört? Ganz zu schweigen von Rockabilly.« Zeus arbeitete bei einer Blutbank und half in seiner Freizeit Kindern mit Down-Syndrom, Sweatshirts herzustellen und zu verkaufen. Alex ertappte sich dabei, dass er Zeus’ Gesicht nach irgendeinem sichtbaren Anzeichen für Papageientum absuchte, aber sein Freund schien immer noch derselbe zu sein, bis hin zu seinem Unterlippenbärtchen, das er in all den Jahren, seit es aus der Mode gekommen waren, behalten hatte.
    »Live er soll richtig gutt sain«, sagte Natascha mit ihrem starken Akzent.
    »Das habe ich auch gehört«, sagte Rebecca. »Von ungefähr acht verschiedenen Leuten. Das ist fast seltsam.«
    »Nicht seltsam«, sagte Natascha mit rauem Lachen. »Die werden bezahlt.« Alex verspürte eine Hitzewelle in seinem Gesicht und vermied es, Natascha anzusehen. Aber es war klar, dass sie keine Ahnung hatte, Zeus hatte seine Rolle geheim gehalten.
    »Aber das sind Leute, die ich kenne«, sagte Rebecca.
    Es war einer der Tage, an denen man an jeder Ecke auf ein weiteres vertrautes Gesicht trifft, alte Freunde und Freunde von Freunden, Bekannte und Leute, die einem einfach bekannt vorkommen. Alex war zu lange hier in der Stadt, um zu wissen, woher er sie alle kannte: Clubs, in denen er aufgelegt hatte? Die Anwaltskanzlei, wo er als Sekretär gearbeitet hatte? Beim Basketball, das er jahrelang spontan im Tompkins Square Park gespielt hatte? Er hatte seit dem Tag seiner Ankunft hier mit vierundzwanzig das Gefühl gehabt, dass er New York bald wieder verlassen würde - sogar jetzt hockten er und Rebecca die ganze Zeit in den Startlöchern, für den Fall, dass sich an einem billigeren Ort ein besserer Job bot - aber all die Jahre hatten dazu geführt, dass er das Gefühl hatte, jeden Menschen in Manhattan wenigstens einmal gesehen zu haben. Alex fragte sich, ob Sasha irgendwo in dieser Menge sein könnte. Er suchte die vage bekannten Gesichter nach ihrem ab, ohne zu wissen, wie sie aussah, als würde er zur Belohnung dafür, dass er Sasha nach all diesen Jahren erkannte, die Antwort auf diese Frage finden.
    Ihr geht auch Richtung Süden? … wir haben davon gehört … nicht nur für Patscher… live ist er angeblich…
    Nach dem neunten oder zehnten Wortwechsel dieser Art, der sich irgendwo in der Nähe des Washington Square abspielte, wurde Alex plötzlich bewusst, dass all diese Menschen, die Eltern und die Kinderlosen, die Alleinstehenden und die Paare, homo und straight, clean und gepierced, unterwegs zu Scotty Hausmann waren. Jeder einzelne von ihnen. Erst reagierte er auf diese Erkenntnis mit Ungläubigkeit, dann überkam ihn ein heißes Gefühl von Besitzerstolz und Macht - er hatte es geschafft, mein Gott, er war das pure Genie -, dann jedoch ein leichtes Unwohlsein (es war ein Triumph, auf den er nicht stolz war) und Angst: Was, wenn Scotty Hausmann live überhaupt nicht gut war? Was, wenn er mittelmäßig oder schlimmer war? Dagegen verordnete er sich ein Linderungsmittel in Form eines Gehirn-T: kiR weiß v mir. Bin unsichtbar.
    »Alles in Ordnung mit dir?«, fragte Rebecca.
    »Ja. Warum?«
    »Du wirkst nervös.«
    »Wirklich?«
    »Du drückst meine Hand so fest«, sagte sie. Dann fügte sie hinzu und lächelte hinter ihrer Nickelbrille: »Das ist nett.«
    Als sie die Canal Street überschritten und Lower Manhattan erreicht hatten (wo die Kinderdichte jetzt die höchste im ganzen Land war), wurden Alex und Rebecca und Cara-Ann Teil eines Menschenstroms, der vom Bürgersteig quoll und die Straße überfüllte. Der Verkehr war ins Stocken geraten, und über ihnen sammelten sich die Hubschrauber und zerschlugen die Luft mit einem Geräusch, das Alex in den ersten Jahren nicht hatte ertragen können - zu laut, zu laut -, aber im Laufe der Zeit hatte er sich daran gewöhnt: der Preis der Sicherheit. An diesem Tag kam einem ihr militärisches Geschnatter seltsam angemessen vor, dachte Alex, als er sich in dem Meer von Tragetüchern und -sitzen und -gestellen voller Babys umschaute - ältere Kinder trugen die jüngeren -, denn war das hier nicht auch eine Art Armee? Eine Armee aus Kindern: fleischgewordener Glaube derjenigen, die gar nicht wussten, dass sie noch an etwas glaubten.
    Wo kindR sind, gibz zukunft, odR i
    Vor ihnen ragten die neuen Gebäude in prachtvollen Spiralen in den Himmel, viel schöner als die alten (die Alex nur von Bildern her kannte), eher Skulpturen als Gebäude, denn sie waren leer. Im

Weitere Kostenlose Bücher