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Der groesste Teil der Welt

Der groesste Teil der Welt

Titel: Der groesste Teil der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Egan
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auf Rebeccas Arm verstummte. Alex spürte den letzten Rest Sonnenschein auf seinem Gesicht und schloss die Augen, um die schwache Wärme auszukosten, und seine Ohren waren erfüllt vom Tuckern einer vorüberfahrenden Fähre. Sobald die Sonne verschwunden war, bewegten sich alle ganz plötzlich, als sei ein Zauber aufgehoben worden. »Runter«, sagte Cara-Ann und lief über die Uferpromenade davon. Rebecca rannte lachend hinterher. Alex überprüfte eilig sein Smartpad.
    JD Dnkt drübR nach
    OK, Sancho
    Cal: kI bock.
    Bei jeder Antwort erlebte er eine Mischung aus Emotionen, die ihm im Laufe eines Nachmittags vertraut worden waren. Triumph durchsetzt mit Verachtung bei den Zusagen, Enttäuschung angehaucht von Bewunderung bei den Absagen. Er wollte gerade eine Antwort eingeben, als er ein lautes Trappeln hörte und dann den sehnsüchtigen Schrei seiner Tochter: »Lolliiiiii!« Alex schnippte das Smartpad weg, aber es war zu spät. Cara-Ann zerrte an seinen Jeans. »Das meins«, sagte sie.
    Rebecca trat neben sie. »Ach. Das ist der Lolli.«
    »Sieht so aus.«
    »Du hast es ihr gegeben?«
    »Nur einmal, okay?« Aber sein Herz hämmerte.
    »Du hast einfach die Regeln geändert, so ganz allein?«
    »Ich habe sie nicht geändert, es war ein Versehen. Okay? Darf mir mal ein einziges verdammtes Versehen passieren?«
    Rebecca hob eine Augenbraue. Alex spürte, wie sie ihn musterte. »Warum jetzt?«, fragte sie. »Warum heute, nach all der Zeit - ich kapier das nicht!«
    »Da gibt es nichts zu kapieren«, blaffte Alex, aber er dachte: Woher weiß sie das? Und dann: Was weiß sie eigentlich?
    Sie standen einander im verlöschenden Licht gegenüber. Cara-Ann wartete schweigend, der Lolli war offenbar vergessen. Die Uferpromenade war fast leer. Es war Zeit, Rebecca von seinem Geschäft mit Bennie zu erzählen - jetzt, sofort! -, aber Alex war wie gelähmt, als sei ihm die Beichte bereits vergällt worden. Er verspürte den verrückten Wunsch, Rebecca anzutexten, und ertappte sich sogar dabei, wie er in Gedanken die Mitteilung formulierte: NeuR job in sieht, $$$ übRlegs dir
    »Gehen wir«, sagte Rebecca.
    Alex setzte Cara-Ann wieder in das Tragetuch, und sie stiegen die Treppe hinab in die Dunkelheit. Während sie durch die düsteren Straßen wanderten, musste Alex an den Tag denken, als er Rebecca kennengelernt hatte. Nachdem er den Handtaschendieb mit der Wolfsmaske verfolgt, aber nicht erwischt hatte, hatte Alex sie zu Bier und Burrito eingeladen, dann hatte er mit ihr Sex auf dem Dach ihres Hauses in der Avenue D gehabt, wohin sie sich vor ihren drei Mitbewohnerinnen zurückgezogen hatten. Er wusste Rebeccas Nachnamen nicht. Und in diesem Moment, ohne Vorwarnung, fiel Alex plötzlich der Name der Frau ein, die für Bennie Salazar gearbeitet hatte. Sasha. Der Name kam mühelos, wie eine Tür, die von selbst aufspringt. Sasha. Alex hielt sich den Namen sorgsam vor Augen, und richtig, schon folgten ihm die ersten Anzeichen von Erinnerung sprudelnd ans Licht: ein Hotelfoyer, ein kleines, überhitztes Apartment. Es war wie der Versuch, sich an einen Traum zu erinnern. Hatte er sie gevögelt? Alex ging davon aus - fast alle Dates damals hatten mit Sex geendet, so schwer man sich das jetzt auch von seinem gemeinsamen Bett vorstellen konnte, das nach Babyspeck roch und einem chemischen Hauch der biologisch abbaubaren Windeln. Aber Sasha wollte bei der Frage nach Sex nichts verraten, sie schien ihm zuzuzwinkern (grüne Augen?) und dann davonzugleiten.
     
    Das neuste Ghört?, las Alex spät eines Abends auf seinem Smartpad, als er an seiner üblichen Stelle am Fenster saß.
     ja
    Worum es ging, war, dass Bennie das Scotty-Hausmann-Konzert nach draußen verlegt hatte, zum Footprint, eine Änderung, die von Alex’ blinden Papageien (ohne mehr Geld) zusätzliche Bemühungen erfordern würde, damit alle potenziellen Konzertbesucher wüssten, wohin.
    Bennie hatte Alex schon vorher am Telefon von der Verlegung des Veranstaltungsortes erzählt. »Scotty ist nicht scharf auf geschlossene Räume. Ich glaube, er wäre im Freien glücklicher.« Es war die letzte in einer Welle von sich steigernden Forderungen und Sonderwünschen. »Er ist ein Einzelgänger.« (Damit erklärte Bennie, warum Scotty einen Wohnwagen brauchte.) »Konversation fällt ihm schwer.« (Warum Scotty keine Interviews gab.) »Er hatte noch nie viel mit Kindern am Hut.« (Warum Scotty sich von »Patscherlärm« gestört fühlen könnte.) »Er misstraut der Technik.«

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