Der groesste Teil der Welt
des Löwen heran, als ob sie seit ihrer Geburt nichts anderes getan hätte. Lulu textete: Hab mi dad nie GtroffN. Vor miR Gburt t. Alex las das nicht vor.
»Ach, tut mir leid«, sagte er und sah zu Lulu hoch, aber seine Stimme wirkte zu laut - grob herausgeplatzt. Er senkte den Blick, und durch das wilde Gefuchtel von Cara-Anns zeigenden Fingern konnte er texten: Traurig.
Ewig hR, war Lulus Antwort.
»Das meins«, gurrte Cara-Ann entrüstet, reckte sich aus dem Tragetuch und bohrte ihren Zeigefinger in Alex’ Tasche. Dort vibrierte das Smartpad - fast ununterbrochen, seit er und Cara-Ann Stunden zuvor das Restaurant verlassen hatten. War es möglich, dass seine Tochter die Schwingungen durch seinen Körper hindurch spüren konnte?
»Lollipop meins!« Alex wusste nicht, wie sie auf diesen Namen für das Smartpad gekommen war, aber er wollte ihr natürlich auf keinen Fall den richtigen sagen.
»Was möchtest du, Schnuffel?«, fragte Rebecca in der henkelnden Art, in der sie (fand Alex) ihre Tochter oft anredete, wenn sie den ganzen Tag bei der Arbeit gewesen war.
»Daddy Lolli.«
Rebecca sah Alex misstrauisch an. »Hast du einen Lolli?«
»Natürlich nicht.«
Sie eilten nach Westen, um den Fluss vor dem Sonnenuntergang zu erreichen. Die mit der Erwärmung verbundenen »Anpassungen« an die Erdumlaufbahn hatten die Wintertage verkürzt, so dass die Sonne jetzt, im Januar, um 16:23 unterging -
»Kann ich sie nehmen?«, fragte Rebecca.
Sie nahm Cara-Ann aus dem Tragetuch und stellte sie auf den rußigen Bürgersteig. Die Kleine machte einige ihrer unsicheren Schritte und ruderte dabei mit den Armen. »Wenn wir sie laufen lassen, verpassen wir’s noch«, sagte Alex, und Rebecca hob sie hoch und ging schneller weiter. Alex hatte seine Frau vor der Bibliothek überrascht, was er jetzt häufiger machte, um dem Baulärm in der Wohnung zu entgehen. Aber an diesem Tag hatte er einen zusätzlichen Grund: Er musste ihr von seiner Abmachung mit Bennie erzählen, und zwar unverzüglich.
Bis sie den Hudson erreicht hatten, war die Sonne hinter der Wasserwand verschwunden, aber als sie die Stufen zur Uferpromenade hochstiegen, wie der mit Brettern verschalte Mauerwall überschwänglich genannt wurde, stellten sie erleichtert fest, dass sie noch immer orange-rot und wie ein Dotter unmittelbar über Hoboken verharrte. »Runter«, befahl Cara-Ann, und Rebecca ließ sie los. Cara-Ann rannte zum Eisengeländer an der Außenseite der Mauer, wo sich um diese Tageszeit immer Menschen drängten, denen vermutlich der Sonnenuntergang (wie Alex) kaum aufgefallen war, als es die Mauer noch nicht gegeben hatte. Jetzt konnten sie nicht genug davon bekommen. Während er Cara-Ann in die Menge folgte, nahm Alex Rebeccas Hand. Solange er sie kannte, konterkarierte seine Frau ihre sexy Schönheit mit einer idiotischen Brille, manchmal in Richtung Dick Smart, dann wieder in Richtung Catwoman. Bisher hatte Alex diese Brille toll gefunden, weil sie Rebeccas sexy Schönheit nicht unterdrücken konnte, aber neuerdings war er sich da nicht mehr sicher: Zusammen mit Rebeccas frühzeitig ergrauenden Haaren und der Tatsache, dass sie oft nicht genug schlief, drohte die Brille ihre Verkleidung zu einer Identität zu zementieren: einer verhärmten Akademikerin, die verzweifelt versuchte, ein Buch zu vollenden, während sie zwei Seminare hielt und mehreren Ausschüssen vorsaß. Was Alex am meisten zu schaffen machte, war seine eigene Rolle in diesem Tableau: die des alternden Musikfreaks, der seinen Lebensunterhalt nicht verdienen kann und seiner Frau den Lebenssaft (oder jedenfalls die sexy Schönheit) aussaugt.
Rebecca war in der akademischen Welt ein Star. Ihr neues Buch behandelte das Phänomen der Worthülsen, eine Bezeichnung, die sie für Wörter erfunden hatte, die ohne Anführungszeichen keine Bedeutung mehr besaßen. Im Englischen wimmelte es von diesen leeren Wörtern - »Freund« und »wirklich« und »Geschichte« und »Wandel« -, Wörtern, die ihrer Bedeutung beraubt und zu leeren Schalen geworden waren. Einige, wie »Identität«, »Suche« und »Wolke« hatten ihr Leben einwandfrei durch die Verwendung im Netz eingebüßt. Bei anderen waren die Gründe komplizierter, wieso war »amerikanisch« zu einer ironischen Bezeichnung geworden? Wieso wurde »Demokratie« spöttisch und mit hochgezogenen Augenbrauen verwendet?
Wie immer senkte sich in den letzten Sekunden, ehe die Sonne entschwand, Schweigen über die Menge. Sogar Cara-Ann
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