Der große Bio-Schmaeh
gerade den Schweiß von der Stirn. Der junge Mann nahm kaum Notiz von mir, meine Anwesenheit schien ihn nicht zu interessieren. Er griff zu seinen Arbeitsutensilien und begab sich festen Schrittes zum Ausgang in meine Richtung. Dort sprach ich ihn mit meinem gebrochenen Ungarisch an. Nur mühsam konnte ich László in der fremdartigen Sprache, die noch neu für mich war, klar machen, was ich von ihm wollte: Ich war an seiner Arbeitssituation interessiert und bat ihn um ein Interview. Zu meiner Überraschung sagte László sofort zu. »Ich vertraue Ihnen, dass Sie meine Identität nicht veröffentlichen«, fügte er hinzu. Das versprach ich ihm mit meinem Handschlag, weshalb ich seinen richtigen Vornamen in diesem Buch nicht verrate. Im Gegenzug versicherte mir László, meine Fragen ehrlich und wahrheitsgetreu zu beantworten. In Windeseile kritzelte er seinen Namen und seine E-Mail-Adresse auf einen Zettel. Dann sprang er, ehe ich noch »Danke« sagen konnte, gemeinsam mit drei weiteren Helfern auf die Ladefläche eines Pick-ups, der ihn abtransportierte und in einen anderen Bereich der Gewächshausanlage überstellte. Einige Zeit später fand das Interview unter Mithilfe einer Dolmetscherin statt.
Clemens G. Arvay:
László, wie lautet die offizielle Bezeichnung Ihrer Tätigkeit am Csardahof?
László:
Was ich hier verrichte, nennt sich »landwirtschaftliche Hilfsarbeit«.
Clemens G. Arvay:
Wie lange dauert Ihre Arbeitssaison als landwirtschaftlicher Hilfsarbeiter?
László:
Ich arbeite hier von April bis November. Die Hauptsaison, in der wir am meisten zu tun haben, dauert von Mai bis September.
Clemens G. Arvay:
Wie viele Tage und Stunden arbeiten Sie pro Woche?
László:
Wir haben eine Sechstagewoche von Montag bis Samstag. Manchmal arbeiten wir auch an Sonn- und Feiertagen. In der Hauptsaison komme ich oft auf mehr als vierzig Stunden pro Woche. Ich bekomme aber jeden Monat vierzig Stunden bezahlt und wir versuchen, unsere Überstunden bis zum Ende der Saison wieder auszugleichen.
Clemens G. Arvay:
Und wie hoch ist Ihr Stundenlohn?
László:
Mein Stundenlohn liegt bei EUR 6,42. 35
Clemens G. Arvay:
Wie ist der Umgangston an Ihrem Arbeitsplatz? Ich meine damit: Wie werden Sie vom menschlichen Standpunkt aus behandelt?
László:
Die Umstände sind nicht gerade rosig. Es herrscht ein harter Umgangston. Geschrei und persönliche Beschimpfungen stehen an der Tagesordnung und ich fühle mich oft erniedrigt. Wenn du deine Arbeit gut machst, bekommst du kein Lob. Es heißt immer nur: »Wieso arbeitest du nicht schneller? Wieso schaffst du nicht mehr pro Stunde?«
Clemens G. Arvay:
Ist Ihre Arbeit anstrengend?
László:
Die Anstrengung ist nicht das größte Problem. Das Schlimmste ist die Menge. Wir müssen immer
noch
mehr schaffen,
noch
schneller sein und trotzdem gute Arbeit leisten. Wir arbeiten bei jedem Wetter, auch bei Regen, Wind und Kälte. In den Gewächshäusern ist es extrem heiß, es dampft richtig dort drinnen. Wir müssen unsere Arbeitskleidung selbst besorgen. Vom Betrieb wird uns nur ein Messer zur Verfügung gestellt. Unsere Umkleidekabinen und Duschen müssen wir selber putzen. Es gibt dort übrigens Mäuse, weil das Gebäude ein adaptierter Stall ist. Ich versuche nach Möglichkeit, diese Räume zu meiden.
Clemens G. Arvay:
László, Ihre Arbeitsbedingungen und der harsche Umgangston, dem Sie ausgesetzt sind, erscheinen mir nicht gerade angenehm. Warum kommen Sie jedes Jahr wieder?
László:
Sie werden hier nur Arbeiter aus Osteuropa treffen. Wir haben keine andere Wahl. Der Arbeitsmarkt in Ungarn, wo ich herkomme, ist kaputt. Deswegen verbringe ich jetzt schon mein viertes Jahr als Erntehelfer am Csardahof. 36 Gemessen an ungarischen Verhältnissen ist der Lohn noch immer höher. Nur leider muss ich von dem Geld, das ich während einer Saison verdiene, auch über den Winter kommen. Das ist dann nicht mehr so toll.
Clemens G. Arvay:
Lieber László, ich wünsche Ihnen alles Gute und danke Ihnen für das Interview.
In der Tat sind der harte Umgangston sowie die Arbeitssituation der osteuropäischen Saisonkräfte für viele Produktionsbetriebe, so wie von László beschrieben, als völlig »normal« anzusehen. Beinahe die gesamte Agrarindustrie, ganz egal ob konventionell oder biologisch, baut ihre vertraglich geregelte Massenproduktion auf den Einsatz von Billigarbeitskräften aus dem Ausland auf. Der Wiener Landschaftsplaner und Agrarsoziologe Diplomingenieur Dieter A. Behr stellte bei
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