Der große deutsche Märchenschatz
sich zu Tische setzten und aÃen, erzählte er ihnen folgende Geschichte:
»Als ich im Walde dem Trillern und Trallern der Vögel nachging, um die Vogelsprache zu erlernen, trat eines Tages eine Gestalt aus den Büschen auf mich zu, die mich sehr erschreckte, denn obwohl sie aufrecht ging, glich sie doch eher einem wilden Tiere als einem Menschen. Sie sah aus wie ein alter Affe und war ganz von weiÃen Haupt- und Barthaaren bedeckt. Schon wollte ich fliehen, als mich das sonderbare Wesen mit freundlichen Worten bat, zu bleiben. âºWer bist du denn?â¹, fragte ich auf diese unerwartete Anrede. Die Gestalt erwiderte: âºIch bin der Holzapfelklausner und lebe seit achtzig Jahren hier im Walde, wo ich eine hohe Schule halte für Vogelmusik und Vogelsprache.â¹ Als ich darauf entgegnete, dass ich Trilltrall heiÃe und mir gleichfalls das Erlernen der Vogelsprache zum Beruf gewählt habe, rief der Klausner: âºBravo! Sehr brav! Da bist du gerade zum rechten Manne gekommen, und wenn du mein Schüler werden willst, so will ich meine groÃe Gelehrsamkeit gerne auf dich übertragen, da ich ja doch bald werde sterben müssen.â¹ Alsbald führte mich der gute Klausner auch ins Abc der Vogelsprache ein, und da ich mir viel Mühe gab, etwas zu lernen, lebten wir friedlich beisammen und nährten uns von Wurzeln, Kräutern, besonders aber von Vogelfutter, als Mücken, Spinnen, Ameiseneiern, Wacholderbeeren und dergleichen. So waren wir bis zur Sprache der Krammetsvögel gekommen, und ich steckte eines Vormittags eben in einem Wacholderbusch und aà dessen Beeren, um mich auf den Unterricht vorzubereiten, als ich in der Nähe ein ungemein liebliches Stimmchen hörte. âºAch!â¹, klagte es, âºwarum bin ich doch von der Seite meines Vaters weggelaufen; jetzt habe ich mich verirrt und werde keinen Weg mehr finden.â¹
Ich trat aus dem Busche und stand der allerschönsten Prinzessin gegenüber. Sie trug ein goldgesticktes, graues Reisekleid, rote Saffianstiefelchen und ihr Lockenköpfchen war geziert mit einer kleinen goldenen Krone. Mein Erscheinen setzte sie in groÃe Furcht. Als ich ihr aber sagte, dass ich weder ein Räuber noch ein Mörder sei, sondern mich bloà im Walde aufhalte, um die Vogelsprache zu studieren, fasste sie Zutrauen zu mir und bat mich, ich solle doch die Vögel fragen, wohin ihr Vater gezogen sei. Ich aber führte die Prinzessin zu meinem Lehrmeister, der sich ganz in der Nähe befand und der Verirrten jedenfalls bessere Auskunft zu geben vermochte als ich. Er saà zusammengekauert in einer alten, hohlen Eiche, sodass nur seine lange Nase hervorsah und sein weiÃer Bart wie ein Wasserfall heraushing. Der würdige Alte erhob sich sogleich, als er uns kommen sah; er trat aus dem Baume, verbeugte sich ehrfurchtsvoll vor der holdseligen Erscheinung und fragte nach ihrem Begehr. Diese sprach: âºIch bin die Prinzessin Campanelli von Glockotonia und zog mit meinem Vater, dem König Pumpan, durch diesen Wald. Wir sind ausgegangen, um den groÃen goldenen Glockenschwengel zu suchen, der sich neulich bei einem Wettgeläute aus der Hofglocke losriss und über die Stadt hinweg in die weite Welt hinausflog. Ich blieb hinter den anderen zurück, weil mir ein Baumzweig die kleine, goldene Klingel abstreifte, die ich in meiner Krone tragen muss und von der ich den Namen Campanelli habe. Das Glöckchen blieb an einem Zweige hängen, und als ich es wieder herabnehmen wollte, kam ein Rabe und trug es im Schnabel davon. Ich lief dem Raben nach, solange ich das Glöcklein klingen hörte; jetzt aber habe ich seine Spur verloren und weià nun nicht mehr wo aus, wo ein in diesem wilden Walde. Darum tu mir den Gefallen, lieber Einsiedler, und frage doch die Vögel, ob sie den Raben mit dem Silberglöckchen gesehen hätten und ob sie wohl den Weg wüssten, den mein Vater, König Pumpan, dahingezogen ist.â¹ â âºDas will ich gleich besorgen, teuerste Prinzessin!â¹, sprach der Einsiedler und winkte mir, ihm zu helfen. Wir stiegen sodann auf zwei Bäume, um die Vögel auszufragen. Es wollte uns lange nicht glücken, bis endlich ein alter Rabe uns mitteilte, sein Kamerad, ein anderer Rabe, sei mit dem Glöckchen aus Campanellis Krone auf das Schloss des Nachtwächterkönigs Knarratschki geflogen. Das Schloss aber liege auf einem hohen Felsen im Meere und dort befinde sich auch der
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