Der Grosse Eisenbahnraub: Roman
Stuhl stellen müssen. Aber seien Sie sehr leise. Vor dem Büro sitzt nämlich ein Nachtwächter auf der Treppe.«
Sauber-Willy zog die Stirn kraus.
»Öffnen Sie den Wandschrank«, fuhr Pierce fort. »Und zwar mit dem Schlüssel da.« Er deutete mit einem Kopfnicken auf Agar, der Willy den besten Drehrum aushändigte.
»Schließen Sie den Wandschrank auf und warten Sie.«
»Worauf?«
»Um halb elf etwa wird es unten in der Halle etwas Lärm geben. Ein Betrunkener wird hereinkommen und den Nachtwächter in ein Schwätzchen verwickeln.«
»Und dann?«
»Dann schließen Sie die Eingangstür zum Büro auf, und zwar mit dem Schlüssel dort.« Agar händigte Sauber-Willy den zweiten Dietrich aus. »Und dann warten Sie wieder.«
»Auf was?«
»Um halb zwölf ungefähr wird der Nachtwächter zur Toilette gehen. Dann wird Agar die Eisentreppe heraufkommen und durch die Tür eintreten, die Sie vorher aufgeschlossen haben, und seine Wachsabdrücke machen. Dann geht Agar wieder, und Sie schließen die Eingangstür sofort wieder ab. Um diese Zeit etwa wird der Nachtwächter zurück sein. Sie schließen den Wandschrank ab, stellen den Stuhl wieder an seinen Platz und verlassen das Büro stiekum durchs Fenster.«
»Ist das alles?« frage Sauber-Willy nachdenklich.
»Das ist alles, was Sie zu tun haben.«
»Und dafür haben Sie mich aus Newgate rausgeholt?« fragte Sauber-Willy. »Das ist doch keine große Sache, sich in einem leeren Büro ein bißchen umzusehen.«
»Es ist zwar ein leeres Büro, aber es sitzt ein Nachtwächter vor der Tür, und in der Stille hört man jedes Geräusch. Sie müssen die ganze Zeit sehr, sehr leise sein.«
Sauber-Willy grinste. »Mit den Schlüsseln, von denen Sie da Wachsabdrücke machen, haben Sie ‘ne größere Sache vor, ‘ne dicke Massematte, was?«
»Kümmern Sie sich um Ihre eigene Aufgabe«, sagte Pierce, »und sonst nichts.«
»Kleinigkeit!« sagte Sauber-Willy.
»Und halten Sie die beiden Dinger da griffbereit«, sagte Agar und deutete auf die Dietriche. »Wenn ich reinkomme, müssen die Tür und der Schrank offen sein, sonst können wir uns gute Nacht sagen – dann werden wir nämlich geschnappt.«
»Habe keine Lust, geschnappt zu werden«, sagte SauberWilly.
»Dann halten Sie die Augen offen, und seien Sie auf der Hut.«
Sauber-Willy nickte. »Und was gibt’s zum Abendessen?« fragte er.
Einbruch mit Gesang
Am Abend des 9. Januar legte sich schwerer rußiger Nebel auf die Stadt. Es war eine richtige Londoner »Waschküche«. Sauber-Willy, der die Tooley Street hinunterging und die Fassade des London Bridge-Bahnhofs aus den Augenwinkeln musterte, war sich nicht sicher, ob er sich über den Nebel freuen sollte. Hier auf der Straße würde ihn jetzt zwar kein Mensch sehen, aber dafür war der Nebel so dicht, daß er nicht einmal das Obergeschoß des Bahnhofsgebäudes erkennen konnte. Sauber-Willy machte sich Sorgen, ob er auf Anhieb den richtigen Aufstieg finden würde.
Womöglich mußte er auf halbem Weg entdecken, daß er nicht weiterkam.
Sauber-Willy wußte andererseits eine ganze Menge über die Konstruktion von Häusern, und nachdem er eine Stunde lang um den Bahnhof herumgeschlichen war, wußte er, wo er die Wand anzugehen hatte. Vom abgestellten Karren eines Gepäckträgers aus konnte er zu einem Abflußrohr hinüberspringen, hochklettern und dann den Sims der Fenster im Obergeschoß erreichen. Ein Mauervorsprung lief um das gesamte Obergeschoß herum. Er bewegte sich darauf seitwärts weiter, bis er einen Mauerwinkel erreichte. Dort kletterte er mit dem Rücken zur Mauer weiter hoch – wie bei seinem Ausbruch aus Newgate.
Punkt acht Uhr stand er auf dem breiten Dach des Bahnhofsgebäudes. Der größte Teil des Bahnhofs war mit Schiefer gedeckt; nur über den Gleisen bestand das Dach aus Glas, aber Sauber-Willy hütete sich, das Glasdach zu betreten. Er wog zwar nur 68 Pfund, wäre aber trotzdem sofort durch das Glasdach durchgebrochen.
Er tastete sich im Nebel behutsam vorwärts, bis er hinter einem Mauervorsprung das Fenster mit der zerbrochenen Scheibe fand, von dem Pierce gesprochen hatte. Er sah hinein. Es war der Dienstraum des Fahrdienstleiters.
Er griff durch das gezackte Loch im Fensterglas, öffnete den Riegel und schob vorsichtig das Fenster hoch. Es war ein rechteckiges Fenster von vielleicht neun mal sechzehn Zoll. Sauber-Willy schlängelte sich mühelos hindurch, trat auf eine Schreibtischplatte und hielt inne.
Man hatte ihm nicht gesagt,
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