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Der Grosse Eisenbahnraub: Roman

Der Grosse Eisenbahnraub: Roman

Titel: Der Grosse Eisenbahnraub: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Crichton
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möglichen Viecher.«
    »So ist es«, sagte Pierce ruhig.
    »Muß er getauft sein?«
    Das war ein besonders schwieriges Problem. Taggert war ein hervorragender »Täufer«, also ein Mann, der verhindern konnte, daß gestohlenes Gut als solches erkannt wurde. Das Aussehen eines Pferdes etwa konnte er so geschickt verändern, daß selbst der Eigentümer sein Pferd nicht wiedererkannt hätte.
    Das »Taufen« eines Leoparden würde sich allerdings etwas schwieriger gestalten.
    »Nein«, erwiderte Pierce. »Ich nehme ihn, wie er ist.«
    »Wofür brauchen Sie ihn denn?«
    Pierce bedachte Taggert mit einem strengen Blick und antwortete nicht.
    »Man wird ja wohl noch fragen dürfen«, sagte Taggert.
    »Schließlich kommt es nicht alle Tage vor, daß man einen Leoparden difteln soll, und deshalb frage ich auch nur – war keine böse Absicht dabei.«
    »Es soll ein Geschenk sein«, sagte Pierce. »Ein Geschenk für eine Dame.«
    »Ah, eine Dame.«
    »Auf dem Kontinent.«
    »Ah, auf dem Kontinent.«
    »In Paris.«
    »Ah, verstehe.«
    Taggert musterte Pierce von oben bis unten. Pierce war elegant gekleidet. »Sie könnten doch einfach einen kaufen«, sagte Taggert. »Würde Sie nicht mehr kosten, als wenn Sie ihn von mir kriegen.«
    »Ich habe Ihnen einen geschäftlichen Vorschlag gemacht.«
    »Das haben Sie in der Tat, handfest genug ist er ja, aber Sie haben noch kein Wort darüber gesagt, was für mich dabei rausspringt. Sie haben nur erwähnt, daß ich einen Leoparden difteln soll.«
    »Ich werde Ihnen zwanzig Guineen zahlen.«
    »Oh, Sie werden mir vierzig zahlen, und dann können Sie sich noch glücklich schätzen.«
    »Ich gebe Ihnen fünfundzwanzig, und dann werden Sie sich glücklich schätzen«, entgegnete Pierce.
    Taggert machte ein unglückliches Gesicht. Er drehte sein Glas in den Händen. »Also gut«, sagte er. »Wann soll’s sein?«
    »Darüber machen Sie sich mal noch keine Gedanken«, sagte Pierce. »Finden Sie erst einmal das Tier und überlegen Sie, wie Sie vorgehen wollen, und dann werden Sie noch rechtzeitig von mir hören.« Damit ließ er eine Gold-Guinee auf den Tresen fallen.
    Taggert schnappte sie, biß darauf, nickte und legte die Hand an die Mütze. »Wünsche Ihnen einen guten Tag, Sir«, sagte er.
    »Guten Tag«, sagte Pierce.

Eine komische Oper
    Ein Stadtbewohner des 20. Jahrhunderts, der zufällig Zeuge eines Verbrechens wird, zeigt entweder Furcht oder Gleichgültigkeit. Eine solche Haltung hätte einen Bürger des viktorianischen Zeitalters in Erstaunen versetzt.
    Damals schrie jeder, der beraubt oder überfallen wurde, sofort laut um Hilfe, die er von seinen gesetzestreuen Mitbürgern, die sich in der Nähe befanden, sowohl erwartete wie auch erhielt. Wer irgend konnte, beteiligte sich mit Feuereifer an dem Versuch, einen flüchtigen Übeltäter zu ergreifen. Selbst hochgestellte Damen nahmen gelegentlich mit Begeisterung an einer solchen Hatz teil.
    Für die Bereitwilligkeit, bei einem solchen Abenteuer mitzumachen, gab es mehrere Gründe. Erstens gab es seit verhältnismäßig kurzer Zeit eine organisierte Polizei. Die Metropolitan Police in London, die beste Polizei Englands, bestand erst seit 25 Jahren, und die Menschen hatten sich noch nicht an
    den Gedanken gewöhnt, daß »ein Verbrechen etwas sei, worum die Polizei sich zu kümmern habe«.
    Zweitens: Feuerwaffen waren selten – sie sind es noch heute in England –, und es war höchst unwahrscheinlich, daß ein Passant, der hinter einem Täter herjagte, von einer Kugel zu Boden gestreckt wurde. Und schließlich waren die meisten Gesetzesbrecher Kinder, oft sogar kleine Kinder, und die Erwachsenen zögerten keinen Augenblick, sich an ihre Fersen zu heften.
    Jeder Dieb war darauf bedacht, seinem Gewerbe möglichst unauffällig nachzugehen, denn sobald sein Tun Aufsehen erregte, lief er Gefahr, gefaßt zu werden. Aus diesem Grund arbeiteten Diebe oft in Banden, von denen einige Mitglieder sich als »Windmacher« betätigten, um die Aufmerksamkeit Außenstehender abzulenken. Manchmal inszenierten Verbrecher auch eigens einen Tumult, um von ihrem ungesetzlichen Tun abzulenken. Ein solches Manöver nannte man »komische Oper«.
    Eine gute »komische Oper« erforderte sorgfältige Planung und einen genau festgelegten zeitlichen Ablauf. Am Morgen des 9. Januar 1855 sah Pierce sich in der gewölbeähnlichen Halle des London Bridge-Bahnhofs um. Alle Mitspieler befanden sich an ihren Plätzen.
    Pierce selbst wollte die schwierigste Rolle

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