Der große Gatsby (German Edition)
herauf und hielt an. Daisy neigte das Gesicht unter ihrem dreieckigen, lavendelfarbenen Hut seitwärts und schaute mich ekstatisch lächelnd an.
»Ist es absolut wahr, dass du hier wohnst, mein Allerliebster?«
Das belebende Geplätscher ihrer Stimme war in dem Regen ein exotisches Tonikum. Ich folgte ihrem Auf und Ab eine Weile nur mit dem Ohr, ehe irgendein Wort zu mir durchdrang. Eine feuchte Haarsträhne lag wie ein blauer Farbstrich quer über Daisys Wange, und als ich ihr aus dem Wagen half, war ihre Hand vor lauter glitzernden Tropfen ganz nass.
»Bist du in mich verliebt?«, flüsterte sie mir ins Ohr. »Oder warum sollte ich allein kommen?«
»Das ist das Geheimnis von Schloss Rackrent. Sag deinem Chauffeur, er soll weit wegfahren und eine Stunde lang fortbleiben.«
»Kommen Sie in einer Stunde wieder, Ferdie.« Und dann mit feierlich gedämpfter Stimme: »Er heißt Ferdie.«
»Greift das Benzin seine Nase an?«
»Ich glaube nicht«, sagte sie treuherzig. »Warum?«
Wir gingen hinein. Zu meiner grenzenlosen Überraschung war das Wohnzimmer leer.
»Nanu, das ist aber komisch!«, rief ich aus.
»Was ist komisch?«
Sie wandte den Kopf, weil es leise und diskret an der Haustür klopfte. Ich ging hinaus und öffnete. Totenbleich, die Hände wie Gewichte tief in den Jackentaschen vergraben, stand Gatsby in einer Wasserpfütze und starrte mir mit tragischem Blick in die Augen.
Ohne die Hände aus den Taschen zu nehmen, stakste er an mir vorbei in die Diele, bog wie aufgezogen ruckartig um die Ecke und verschwand im Wohnzimmer. Es war kein bisschen komisch. Ich spürte mein eigenes Herz heftig schlagen und zog die Tür gegen den stärker werdenden Regen ins Schloss.
Eine halbe Minute lang blieb es still. Dann hörte ich aus dem Wohnzimmer ersticktes Gemurmel und etwas von einem Lachen, gefolgt von Daisys hell und künstlich klingender Stimme.
»Ich freue mich wirklich ganz schrecklich, dich wiederzusehen.«
Eine Pause; sie dauerte entsetzlich lange. Da ich nichts in der Diele zu tun hatte, ging ich zu ihnen ins Zimmer.
Gatsbys Hände steckten immer noch in seinen Jackentaschen. Er lehnte am Kaminsims und mimte angestrengt vollkommene Gelassenheit oder gar Langeweile. Er hatte sich so weit nach hinten gebeugt, dass sein Kopf am Zifferblatt einer alten, kaputten Kaminuhr ruhte, und von dort blickten seine traurigen Augen zu Daisy hinab, die schüchtern, aber voller Anmut auf der Kante eines harten Stuhls saß.
»Wir kennen uns von früher«, murmelte Gatsby. Sein Blick wanderte kurz zu mir, und seine Lippen öffneten sich in dem vergeblichen Bemühen, ein Lachen zustande zu bringen. Glücklicherweise begann die Uhr sich just in diesem Moment unter dem Druck seines Kopfes gefährlich zu neigen, und er drehte sich um, fing sie mit zitternden Fingern auf und stellte sie wieder an ihren Platz. Dann setzte er sich aufs Sofa und stützte verkrampft einen Ellbogen auf die Armlehne und das Kinn in die Hand.
»Tut mir leid wegen der Uhr«, sagte er.
Mein Gesicht hatte inzwischen die Farbe eines tropischen Sonnenbrands angenommen. Von den tausend Gemeinplätzen in meinem Kopf wollte mir kein einziger über die Lippen kommen.
»Es ist eine alte Uhr«, erklärte ich ihnen wie ein Idiot.
Ich glaube, einen Moment lang waren wir alle davon überzeugt, sie sei auf dem Boden in Stücke zersprungen.
»Wir haben uns viele Jahre nicht gesehen«, sagte Daisy, und ihre Stimme klang so sachlich, wie es nur irgend möglich schien.
»Fünf Jahre im November.«
Seine Antwort kam derart automatisch, dass wir noch einmal mindestens eine Minute lang in Schweigen versanken. Gerade hatte ich beide mit dem verzweifelten Vorschlag, sie könnten mir in der Küche beim Teekochen helfen, zum Aufstehen gebracht, als die teuflische Finnin den Tee schon auf einem Tablett hereinbrachte.
In dem willkommenen Durcheinander von Tassen und Torten nahmen wir alle wieder eine gewisse Haltung an. Gatsby zog sich ins Halbdunkel zurück, und während Daisy und ich uns unterhielten, schaute er mit wachen, unglücklichen Augen mal zu ihr, mal zu mir. Da jedoch eine solche Flaute nicht der Sinn der Sache war, entschuldigte ich mich bei der erstbesten Gelegenheit und stand auf.
»Wo gehen Sie hin?«, fragte er augenblicklich alarmiert.
»Ich bin gleich wieder da.«
»Ich muss kurz etwas mit Ihnen besprechen.«
Panisch folgte er mir in die Küche, schloss die Tür und flüsterte kläglich: »O Gott!«
»Was ist denn los?«
»Ich habe einen
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