Der große Gatsby (German Edition)
Rückkehr in Santa Barbara wieder, und ich glaube, ich hatte noch nie ein Mädchen gesehen, das so verrückt nach ihrem Mann war wie sie. Wenn er nur für eine Minute das Zimmer verließ, schaute sie sich schon nervös um, fragte: »Wo ist Tom?«, und behielt einen völlig abwesenden Blick, bis sie ihn wieder zur Tür hereinkommen sah. Seinen Kopf in ihrem Schoß, konnte sie stundenlang im Sand sitzen, ihm über die Augen streichen und ihn mit grenzenlosem Entzücken betrachten. Es war rührend, die beiden zusammen zu sehen – man konnte nicht umhin, verstohlen und fasziniert zu lachen. Das war im August. Eine Woche nachdem ich Santa Barbara verlassen hatte, stieß Tom auf der Ventura Road mit einem Lieferwagen zusammen, und dabei löste sich eins seiner Vorderräder. Das Mädchen, das bei ihm war, kam ebenfalls in die Zeitung, weil es sich den Arm gebrochen hatte – es war eins der Zimmermädchen aus dem Santa Barbara Hotel.
Im April des darauffolgenden Jahres brachte Daisy ihre kleine Tochter zur Welt, und sie zogen alle drei für ein Jahr nach Frankreich. Im Frühjahr traf ich sie in Cannes und später in Deauville; dann kamen sie nach Chicago zurück. Daisy war sehr beliebt in Chicago, wie Sie wissen. Die beiden verkehrten mit lauter leichtlebigen, jungen, reichen, wilden Leuten, aber Daisys Ruf blieb absolut makellos. Vielleicht, weil sie nichts trinkt. Es ist ein großer Vorteil, unter schweren Trinkern nichts zu trinken. Man sagt einfach kein Wort und hält sich mit jedem eigenen kleinen Fehltritt zurück, bis alle anderen so blind sind, dass sie’s gar nicht mitkriegen oder sich nicht mehr drum scheren. Vielleicht machte Daisy sich auch gar nichts aus der Liebe – und doch ist da etwas in ihrer Stimme…
Vor ungefähr sechs Wochen hörte sie zum ersten Mal seit Jahren wieder den Namen Gatsby – das war, als ich Sie fragte, ob Sie in West Egg einen Gatsby kennen, wissen Sie noch? Nachdem Sie gegangen waren, kam sie in mein Zimmer, weckte mich auf und fragte mich: »Welchen Gatsby?«, und als ich ihn ihr – halb im Schlaf – beschrieb, sagte sie mit einer ganz sonderbaren Stimme, dass es derselbe sein müsse, den sie früher einmal gekannt habe. Erst da brachte ich diesen Gatsby mit dem Offizier in ihrem weißen Auto zusammen.
Als Jordan mit ihrer Geschichte zu Ende war, saßen wir nicht mehr im Plaza, sondern fuhren seit einer halben Stunde in einer Victoria-Kutsche durch den Central Park. Die Sonne war hinter den hohen Apartmenthäusern der Filmstars in den West Fifties untergegangen, und die hellen Stimmen kleiner Mädchen, die sich wie die Grillen auf dem Gras versammelt hatten, stiegen durch das heiße Dämmerlicht empor:
»I’m the Sheik of Araby
Your love belongs to me.
At night when you’re asleep,
Into your tent I’ll creep – – –«
»Das war ja ein merkwürdiger Zufall«, sagte ich.
»Aber es war gar kein Zufall.«
»Wieso nicht?«
»Gatsby hat das Haus gekauft, weil er wusste, dass Daisy gleich gegenüber auf der anderen Seite der Bucht wohnt.«
Dann waren es also nicht nur die Sterne gewesen, nach denen er in jener Juninacht gegriffen hatte. Er wurde plötzlich lebendig für mich, aus dem Schoß seines sinnlosen Reichtums entbunden.
»Er möchte Sie fragen«, fuhr Jordan fort, »ob Sie Daisy an irgendeinem Nachmittag einmal zu sich einladen könnten und ihm dann gestatten würden vorbeizuschauen.«
Die Bescheidenheit der Bitte erschütterte mich. Er hatte fünf Jahre lang gewartet und ein Anwesen gekauft, auf dem er Sternenlicht an einen Schwarm von Nachtfaltern verschwendete – nur damit er an irgendeinem Nachmittag im Garten eines Fremden »vorbeischauen« konnte.
»Musste ich all das wissen, ehe er mich um einen so kleinen Gefallen bitten konnte?«
»Er hat Angst. Er hat so lange gewartet. Und Sie hätten sich ja beleidigt fühlen können. Im Grunde genommen ist er ein ganz zäher Bursche, wissen Sie.«
Irgendetwas behagte mir nicht.
»Warum hat er Sie nicht gebeten, ein Treffen zu arrangieren?«
»Er möchte, dass sie sein Haus sieht«, erklärte sie. »Und Ihres liegt direkt nebenan.«
»Ach!«
»Ich glaube, er hatte halb damit gerechnet, sie würde eines Abends auf einer seiner Partys bei ihm hereingeschneit kommen«, fuhr Jordan fort, »aber das geschah nicht. Dann begann er, beiläufig die Leute zu fragen, ob sie sie kannten, und ich war die Erste, die er fand. Das war an jenem Tanzabend, als er nach mir schickte, und Sie hätten mal hören sollen, wie
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