Der große Gatsby (German Edition)
schrecklichen Fehler gemacht«, sagte er und schüttelte den Kopf, »einen schrecklichen, schrecklichen Fehler.«
»Sie sind bloß verlegen, das ist alles«, sagte ich und fügte zum Glück noch hinzu: »Daisy ist es auch.«
»Sie ist verlegen?«, wiederholte er ungläubig.
»Genauso wie Sie.«
»Reden Sie nicht so laut.«
»Sie benehmen sich wie ein kleiner Junge«, platzte ich ärgerlich heraus. »Und damit nicht genug – unhöflich sind Sie auch. Daisy sitzt da drinnen ganz allein.«
Er hob die Hand, um mich am Weiterreden zu hindern, und warf mir einen unvergesslich vorwurfsvollen Blick zu, ehe er behutsam die Tür öffnete und wieder im anderen Zimmer verschwand.
Ich ging zur Hintertür hinaus – genau wie Gatsby eine halbe Stunde zuvor, als er nervös die Flucht ergriffen hatte und ums Haus herumgelaufen war – und rannte unter einen riesigen, knorrigen schwarzen Baum, dessen dichtes Laub eine regenabweisende Plane über mir bildete. Es goss jetzt wieder in Strömen, und mein unebener Rasen, von Gatsbys Gärtner wohlgestutzt, war voll kleiner schlammiger Sümpfe und prähistorischer Marschen. Von meinem Standort aus gab es nichts weiter zu sehen als Gatsbys kolossales Haus, also starrte ich es eine halbe Stunde lang an wie Kant seinen Kirchturm. Ein Bierbrauer hatte es vor zehn Jahren – als »Stilechtheit« gerade in Mode war – gebaut und den Nachbarn angeboten, fünf Jahre lang die Steuern für sie zu zahlen, wenn sie ihre Dächer mit Stroh decken ließen. Ihre Weigerung vereitelte womöglich seinen Plan, eine Dynastie zu gründen; danach ging es unaufhaltsam mit ihm bergab. Seine Kinder verkauften das Haus, als der schwarze Kranz noch an der Tür hing. Amerikaner mögen sich zwar gelegentlich bereit finden, Leibeigene zu sein, aber zum Bauernstand wollten sie noch nie gehören.
Eine halbe Stunde später schien die Sonne wieder, und der Lieferwagen des Lebensmittelhändlers bog in Gatsbys Einfahrt ein und brachte die Zutaten für das Abendessen seines Personals – er selbst würde bestimmt keinen Bissen anrühren. Im ersten Stock des Hauses öffnete ein Zimmermädchen die Fenster, schaute aus jedem kurz heraus, lehnte sich aus einem großen, zentralen Erkerfenster und spuckte versonnen in den Garten. Ich war lange genug hier draußen geblieben. Der Regen hatte wie das Gemurmel ihrer Stimmen geklungen, die dann und wann im Aufruhr der Gefühle ein wenig an- und wieder abschwollen. Doch jetzt, da es draußen still geworden war, schien mir auch im Haus Stille eingekehrt zu sein.
Erst nachdem ich in der Küche allen möglichen Lärm gemacht hatte – den Herd ließ ich immerhin stehen –, ging ich zu ihnen hinein, aber ich glaube, sie hatten nicht das Geringste gehört. Sie saßen zusammen auf dem Sofa und schauten sich an, als sei eine Frage noch nicht beantwortet oder gestellt, und alle Anzeichen von Verlegenheit waren verschwunden. Daisys Gesicht war tränenverschmiert, und als ich hereinkam, sprang sie auf und wischte vor dem Spiegel mit einem Taschentuch daran herum. Mit Gatsby jedoch war eine schlechthin verblüffende Wandlung vor sich gegangen. Er glühte förmlich; ohne ein Wort oder eine Geste des Überschwangs strahlte er ein Wohlbehagen aus, das den kleinen Raum ganz und gar erfüllte.
»Ah, hallo, alter Knabe«, sagte er, als hätte er mich jahrelang nicht gesehen. Ich dachte schon, er würde mir gleich die Hand schütteln.
»Es hat aufgehört zu regnen.«
»Wirklich?« Als er begriff, wovon ich sprach, und die Sonne hell ins Zimmer blinzeln sah, lächelte er wie der Mann von der Wettervorhersage, wie ein euphorischer Schutzheiliger des wiederkehrenden Lichts, und wiederholte die Neuigkeit für Daisy: »Was sagst du dazu? Es hat aufgehört zu regnen.«
»Das freut mich, Jay.« Ihre Stimme war voll schmerzlicher, wehmütiger Schönheit und enthielt ihr ganzes unerwartetes Glück.
»Ich möchte, dass Sie und Daisy zu mir herüberkommen«, sagte er. »Ich würde ihr gerne alles zeigen.«
»Wollen Sie wirklich, dass ich mitkomme?«
»Absolut, alter Knabe.«
Daisy ging hinauf, um sich das Gesicht zu waschen – zu spät erinnerte ich mich beschämt meiner Handtücher –, während Gatsby und ich draußen auf dem Rasen warteten.
»Mein Haus sieht gut aus, nicht wahr?«, fragte er. »Schauen Sie nur, wie die ganze Fassade in der Sonne leuchtet.«
Ich sagte ihm, es sei fabelhaft.
»Ja.« Sein Blick wanderte über jeden Türbogen und jeden quadratischen Turm. »Ich habe nur drei
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