Der große Gatsby (German Edition)
Jahre gebraucht, bis ich das Geld dafür zusammenhatte.«
»Ich dachte, Sie hätten Ihr Geld geerbt.«
»Habe ich auch, alter Knabe«, antwortete er automatisch, »aber das meiste davon habe ich in der großen Panik – der Panik des Krieges – wieder verloren.«
Ich glaube, er wusste kaum, was er redete, denn als ich ihn fragte, in welcher Branche er tätig sei, sagte er: »Das ist meine Sache«, ehe er merkte, dass das keine angemessene Antwort war.
»Ach, ich habe mal dies und mal das gemacht«, korrigierte er sich. »Zuerst war ich in der Arzneimittelbranche, dann in der Ölbranche. Aber jetzt bin ich in keiner von beiden.« Er schaute mich aufmerksamer an. »Heißt das, Sie haben noch einmal über mein Angebot von neulich Abend nachgedacht?«
Ehe ich antworten konnte, kam Daisy aus dem Haus, und die zwei Reihen Messingknöpfe an ihrem Kleid funkelten im Sonnenlicht.
»Diese Riesenvilla da?«, rief sie und zeigte mit dem Finger darauf.
»Gefällt sie dir?«
»Sie ist herrlich, aber ich begreife nicht, wie du ganz allein dort leben kannst.«
»Ich sorge dafür, dass sie Tag und Nacht voller interessanter Leute ist. Voller Leute, die interessante Dinge tun. Berühmter Leute.«
Anstatt die Abkürzung am Sund entlang zu nehmen, gingen wir über die Straße und betraten sein Grundstück durch das große Seitentor. In betörendem Flüsterton bewunderte Daisy diese oder jene Ansicht der herrschaftlichen Silhouette vor dem Himmel, bewunderte den Garten, den prickelnden Duft der Jonquillen, den schaumigen Duft der Weißdorn- und Pflaumenblüten, den blassgoldenen Duft der Vergissmeinnicht. Es war sonderbar, am Fuß der Marmortreppe angelangt, keine leuchtenden Kleider zur Tür hinein- oder herausflattern zu sehen und nichts zu hören außer den Vogelstimmen in den Bäumen.
Und während wir drinnen durch Musikzimmer im Stile Marie-Antoinettes und Salons im Stile der Restauration wanderten, war mir, als hielten sich Gäste hinter jedem Sofa und jedem Tisch verborgen und hätten Order, stillzuhalten und nicht zu atmen, bis wir wieder fort waren. Als Gatsby die Tür zur »Merton-College-Bibliothek« hinter uns schloss, hätte ich schwören können, den eulenäugigen Mann in gespenstisches Gelächter ausbrechen zu hören.
Dann gingen wir die Treppe hinauf, kamen durch stilecht möblierte, in rosarote und lavendelfarbene Seide gehüllte Schlafzimmer, in denen frische Blumen leuchteten, durch Ankleidezimmer und Billardzimmer und Bäder mit eingebauten Wannen – und platzten bei einem zerzausten Mann im Pyjama hinein, der auf dem Boden lag und seine Leberübungen machte.
Es war Mr. Klipspringer, der »Kostgänger«. Ich hatte ihn am Morgen hungrig am Strand entlangwandern sehen. Schließlich gelangten wir in Gatsbys Privatgemächer – ein Schlafzimmer, ein Badezimmer und ein Büro, wo wir Platz nahmen und ein Glas Chartreuse tranken, den er aus einem Wandschrank hervorholte.
Er hatte die ganze Zeit keinen Blick von Daisy gewandt, und ich glaube, er bewertete alles in seinem Haus noch einmal nach der Reaktion, die er ihr an den angebeteten Augen ablas. Manchmal starrte er auch wie benommen auf all sein Hab und Gut, als wäre in Daisys tatsächlicher, wundersamer Gegenwart nichts mehr davon real. Einmal stolperte er beinahe eine Treppe hinunter.
Sein Schlafzimmer war von allen Zimmern das schlichteste – einmal abgesehen von der Toilettengarnitur aus purem Mattgold auf seiner Frisierkommode. Hingerissen griff Daisy nach der Bürste und strich sich damit übers Haar, worauf Gatsby sich setzte, die Hand über die Augen legte und zu lachen anfing.
»Es ist urkomisch, alter Knabe!« Er war ganz außer sich. »Ich kann gar nicht… Wenn ich versuche…«
Er war deutlich sichtbar von einem Gemütszustand in den anderen übergewechselt, und nun gelangte er in einen dritten: Nach der Verlegenheit und der blinden Freude überwältigte ihn das Staunen über ihre Gegenwart. Er war so lange von der bloßen Vorstellung erfüllt gewesen, hatte sie ganz bis zu Ende geträumt und sozusagen mit zusammengebissenen Zähnen in unermesslich hoher Anspannung gewartet. Jetzt löste sich etwas in ihm und kreiste wie die Zeiger einer überdrehten Uhr rückwärts.
Nach einer Minute fing er sich wieder und öffnete zwei gewaltige lackierte Schränke für uns. Darin befanden sich seine gesammelten Anzüge, Morgenmäntel und Krawatten sowie etliche Stapel von je einem Dutzend Hemden, die wie Ziegelsteine aufeinandergeschichtet
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