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Der große Gatsby (German Edition)

Der große Gatsby (German Edition)

Titel: Der große Gatsby (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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duldeten Tom und mich, machten höchstens den netten, höflichen Versuch, uns zu unterhalten oder sich ihrerseits unterhalten zu lassen. Sie wussten, dass das Abendessen bald vorbei war und wenig später auch der Abend vorbei und erledigt wäre. Das war ein krasser Gegensatz zum Mittelwesten, wo ein Abend bis zu seinem Ende von einer Phase zur nächsten gejagt wurde, in unablässig enttäuschter Erwartung oder blanker Angst vor dem Augenblick selbst.
    »Neben dir fühle ich mich so unzivilisiert, Daisy«, gestand ich beim zweiten Glas korkigem, aber ziemlich beeindruckendem Bordeaux. »Kannst du nicht mal über die Ernte oder so etwas reden?« Ich hatte nichts Besonderes damit sagen wollen, aber es zeigte eine überraschende Wirkung.
    »Die Zivilisation geht vor die Hunde«, brach es leidenschaftlich aus Tom hervor. »Ich bin in letzter Zeit ein furchtbarer Pessimist geworden. Habt ihr Der Aufstieg der farbigen Völker von diesem Goddard gelesen?«
    »Nein«, antwortete ich, etwas erstaunt über seinen Ton.
    »Nun, das ist ein gutes Buch, und jeder sollte es lesen. Wenn wir nicht aufpassen, lautet die These, wird – wird die weiße Rasse vollständig unterjocht werden. Das ist alles wissenschaftlich; alles erwiesen.«
    »Tom wird neuerdings immer tiefsinniger«, sagte Daisy mit einem Ausdruck gedankenleerer Traurigkeit. »Er liest schlaue Bücher mit langen Wörtern darin. Was war das noch für ein Wort, das wir –«
    »Nun, es sind alles wissenschaftliche Bücher«, wiederholte Tom und sah sie unwirsch an. »Der Bursche hat das Ganze gründlich erforscht. Wir, die herrschende Rasse, müssen aufpassen, dass die anderen Rassen nicht eines Tages die Macht übernehmen.«
    »Wir müssen sie niederschlagen«, flüsterte Daisy und blinzelte wild in die glühende Sonne.
    »Ihr solltet in Kalifornien leben –«, begann Miss Baker, doch Tom unterbrach sie, indem er unruhig auf seinem Stuhl herumrutschte.
    »Er sagt, wir gehören zur nordischen Rasse. Ich und du und du und –« Er zögerte einen winzigen Augenblick, ehe er mit einem leichten Nicken auch Daisy einschloss, und sie zwinkerte mir erneut zu, »– und wir hätten all die Dinge hervorgebracht, die die Zivilisation ausmachen, die Wissenschaft und die Kunst und all das. Versteht ihr?«
    Seine Konzentration hatte etwas Peinliches, als ob seine Selbstzufriedenheit, die ärger war denn je, ihm nicht mehr genügte. Als fast in derselben Sekunde das Telefon klingelte und der Butler ins Haus ging, ergriff Daisy die Gelegenheit beim Schopf und neigte sich zu mir herüber.
    »Ich verrate dir jetzt ein Familiengeheimnis«, flüsterte sie begeistert. »Es hat mit der Nase des Butlers zu tun. Willst du die Geschichte von der Nase des Butlers hören?«
    »Darum bin ich heute Abend hergekommen.«
    »Also – er war nicht immer Butler; früher hat er als Silberputzer bei Leuten in New York gearbeitet, die ein Silberservice für zweihundert Personen hatten. Das musste er von morgens bis abends putzen, bis das Silberputzmittel irgendwann seine Nase anzugreifen begann –«
    »Es wurde immer schlimmer«, warf Miss Baker ein.
    »Genau. Es wurde immer schlimmer, und schließlich musste er seine Stellung aufgeben.«
    Einen Moment lang fielen die letzten Sonnenstrahlen mit romantischer Hingabe auf ihr glühendes Gesicht; ihre Stimme zwang mich beim Zuhören atemlos immer weiter nach vorn – dann erlosch das Glühen, und zögernd und betrübt wich alles Licht von ihr, wie Kinder in der Abenddämmerung eine belebte Straße verlassen.
    Der Butler kam wieder und flüsterte Tom etwas ins Ohr, worauf dieser die Stirn runzelte, seinen Stuhl zurückschob und ohne ein Wort im Haus verschwand. Als erweckte seine Abwesenheit etwas in ihr zum Leben, beugte Daisy sich erneut vor, und ihre Stimme glühte und sang.
    »Es ist so schön, dich hier an meinem Tisch sitzen zu sehen, Nick. Du erinnerst mich – an eine Rose, eine absolut vollkommene Rose. Nicht wahr?«, sagte sie, an Miss Baker gewandt. »Eine absolut vollkommene Rose?«
    Das war Unsinn. Ich ähnele nicht einmal entfernt einer Rose. Sie improvisierte nur, aber sie verströmte dabei eine erregende Wärme, als versuchte ihr Herz, verhüllt in eines jener atemlosen, betörenden Wörter, zu mir herauszukommen. Dann warf sie plötzlich ihre Serviette auf den Tisch, entschuldigte sich und ging ins Haus.
    Miss Baker und ich wechselten einen kurzen, bewusst ausdruckslosen Blick. Ich wollte etwas sagen, da setzte sie sich kerzengerade auf

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