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Der große Gatsby (German Edition)

Der große Gatsby (German Edition)

Titel: Der große Gatsby (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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Zeichen der Trauer das linke Hinterrad schwarz bemalt, und am Nordufer erhebt sich Nacht für Nacht anhaltendes Wehklagen.«
    »Wie herrlich! Lass uns zurückgehen, Tom. Gleich morgen!« Dann fügte sie zusammenhanglos hinzu: »Du solltest die Kleine mal sehen.«
    »Das würde ich gern.«
    »Im Augenblick schläft sie. Sie ist jetzt zwei Jahre alt. Hast du sie noch nie gesehen?«
    »Nein, nie.«
    »Also, du musst sie sehen. Sie ist –«
    Tom Buchanan, der die ganze Zeit rastlos hin- und hergewandert war, blieb stehen und legte mir eine Hand auf die Schulter. »Und was treibst du so, Nick?«
    »Ich bin an der Börse.«
    »Für wen?«
    Ich nannte den Namen.
    »Nie gehört«, sagte er entschieden.
    Das ärgerte mich.
    »Wart’s ab«, antwortete ich. »Du kriegst ihn schon noch zu hören, wenn du hier im Osten bleibst.«
    »Oh, ich bleibe hier im Osten, keine Sorge«, sagte er. Er blickte zu Daisy und dann wieder zu mir, als machte er sich auf etwas gefasst. »Ich müsste ja ein verdammter Idiot sein, wenn ich irgendwo anders leben wollte.«
    »Absolut!«, sagte Miss Baker da so plötzlich, dass ich erschrak – es war das erste Wort, das sie äußerte, seit ich ins Zimmer gekommen war. Offenbar überraschte es sie ebensosehr wie mich, denn sie gähnte und stand mit einer Reihe flinker, geschickter Bewegungen auf.
    »Ich bin ganz steif«, klagte sie. »Ich habe eine halbe Ewigkeit auf diesem Sofa gelegen.«
    »Schau mich nicht so an«, sagte Daisy. »Ich wollte dich den ganzen Nachmittag zu einer Fahrt nach New York überreden.«
    »Nein, danke«, sagte Miss Baker angesichts der vier Cocktails, die eben aus dem Anrichteraum hereingebracht wurden. »Ich bin absolut strikt im Training.«
    Ihr Gastgeber schaute sie ungläubig an.
    »Tatsächlich!« Er stürzte sein Getränk hinunter, als wäre es ein Tropfen auf dem Boden eines Glases. »Wie du je irgendetwas schaffst, ist mir ein Rätsel.«
    Ich schaute Miss Baker an und fragte mich, was es war, das sie »schaffte«. Sie war hübsch anzuschauen, ein schlankes, flachbrüstiges Mädchen mit einer sehr aufrechten Haltung, die sie noch betonte, indem sie die Schultern zurückwarf wie ein junger Kadett. Ihre grauen, sonnenstrapazierten Augen in dem blassen, aparten, unzufriedenen Gesicht blickten mich ihrerseits mit höflicher Neugier an. Jetzt fiel mir ein, dass ich sie oder ein Bild von ihr irgendwo schon einmal gesehen hatte.
    »Sie wohnen also in West Egg«, bemerkte sie verächtlich. »Da kenne ich jemanden.«
    »Ich kenne dort keine Menschensee–«
    »Sie müssen doch Gatsby kennen.«
    »Gatsby?«, fragte Daisy. »Welchen Gatsby?«
    Bevor ich antworten konnte, er sei mein Nachbar, wurden wir zum Essen gerufen. Tom Buchanan klemmte gebieterisch seinen straffen Arm unter meinen und schob mich aus dem Zimmer, als bewegte er eine Schachfigur auf ein anderes Feld.
    Langgliedrig, träge, die Hände leicht auf die Hüften gelegt, gingen die beiden jungen Frauen uns voran und traten auf eine rosenfarbene Veranda hinaus, die dem Sonnenuntergang zugewandt war. Auf einem Tisch flackerten vier Kerzen im schwächer gewordenen Wind.
    »Wozu Kerzen ?«, fragte Daisy stirnrunzelnd. Sie schnippte sie mit den Fingern aus. »In zwei Wochen ist der längste Tag im Jahr.« Sie schaute uns alle strahlend an. »Wartet ihr auch immer auf den längsten Tag des Jahres und verpasst ihn dann? Ich warte jedes Mal wieder auf den längsten Tag im Jahr, und dann verpasse ich ihn.«
    »Wir sollten irgendwas unternehmen«, gähnte Miss Baker und setzte sich an den Tisch, als ginge sie zu Bett.
    »Gut«, sagte Daisy. »Aber was?« Sie wandte sich hilfesuchend an mich. »Was unternimmt man denn so?«
    Bevor ich antworten konnte, heftete sich ihr Blick verwundert auf ihren kleinen Finger.
    »Schaut mal!«, klagte sie. »Ich habe mich verletzt.«
    Wir schauten – der Knöchel war grün und blau.
    »Das warst du, Tom«, sagte sie vorwurfsvoll. »Ich weiß, dass du’s nicht wolltest, aber du warst es trotzdem. Das habe ich nun davon, dass ich einen solchen Koloss von einem Mann geheiratet habe, ein riesengroßes, klobiges Exemplar von einem –«
    »Ich hasse das Wort Koloss«, sagte Tom gereizt. »Auch im Scherz.«
    »Ein Koloss«, wiederholte Daisy.
    Manchmal redeten sie und Miss Baker gleichzeitig, unaufdringlich und mit einer frivolen Oberflächlichkeit, die nie ganz Geplapper war, so kühl wie ihre weißen Kleider und ihre ungerührten, aller Sehnsucht baren Blicke. Sie waren hier – und sie

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