Der große Ölkrieg
die Vibratoren und Erzbrocken. Und es gab das unendliche, im Licht der weißen Tiefseereflektoren grünblaue Wasser des Meeres. Weich, sanft, kühl, schmeichelnd. Aber auch hart, rauh, eisig und drohend. Eine Katzennatur, dachte Tycho Brehm fasziniert, die nicht für oder gegen den Menschen lebt, sondern Ziele verfolgt, die höchstens mal zufällig den Zielen der Menschen entgegenkommen.
In diesen langen Stunden des Unterwasser-Lebens, die ihm genügend Zeit für Spekulationen ließen, dachte er immer nur an das Thema, das sie alle niemals zur Ruhe kommen ließ: Wie konnte man einer Insel, die unter einem undurchdringlichen Energiedom lag, entfliehen?
Dieses verfluchte Helgoland war das letzte Domizil derjenigen, die einen großen Teil der Verantwortung dafür trugen, daß Milliarden von Menschen gestorben waren. Sie hatten für ein paar Tropfen Öl, das ihnen ohnehin nicht gehörte, die Erde in das Atomfeuer getaucht. Und sie hatten immer noch nicht genug, wollten selbst jene kümmerlichen Reste, die das Inferno überlebt hatten, ins All blasen. Man mußte ihnen zuvorkommen. Aber wie? Sie waren zu viele, als daß man sie von innen heraus angreifen konnte, und ihr Energiedom schützte sie vor den Zugriffen ihrer Feinde. Wobei nicht einmal gesagt war, daß diese Feinde mehr Vernunft in ihrem Schädel hatten, von einem Gewissen ganz zu schweigen.
Der Energiedom … Er war eine Realität, aber die Technologie, die hinter diesem Schutzschirm stand, blieb den meisten Menschen auf Helgoland ein Brief mit sieben Siegeln. Man wußte nicht einmal, wo das Feld aufgebaut wurde. Diese neue technische Erfindung mußte so etwas wie ein genialer Jahrhundertsprung sein, ein Glücksfall, der aus der normal voranschreitenden Wissenschaft herausfiel. Es würde noch viele Jahrzehnte dauern, bis anderen Wissenschaftlern – falls es noch welche gab – die Prinzipien dieses Doms erkannten und zu Gegenmaßnahmen fähig waren. Aber so lange konnte Tycho auf die Befreiung nicht warten. Er gedachte, die Sache selbst in die Hand zu nehmen.
Er wußte, daß der Energiedom einen Umkreis von fünfzig Kilometern umfaßte, deren Mittelpunkt die Insel war. Wer in diesen Bereich geriet, stieß gegen eine durchsichtige, flirrende Energiemauer, die undurchdringbar war. Die Mauer war nicht heiß, aber sie stieß wie ein negativ geladenes Feld jede Art von Materie ab. Wo sie in das Wasser tauchte, warf sie einen leichten Brandungswall auf und dazu einen halben Meter breiten Spalt, in dem es nichts gab.
Das Wasser teilte sich bis zum Meeresgrund, wie man es von Moses gehört hatte, als er mit den Seinen das Rote Meer durchquerte.
Tycho hätte nur zu gern gewußt, ob der Dom nur eine Glocke war oder auch eine Bodenplatte besaß. Sooft er mit seinem Team hier unten eingesetzt wurde: Immer hatte er versucht, in den Außenbezirken arbeiten zu können, in der Hoffnung, dabei einmal der Domwandung nahe zu kommen.
Sie arbeiteten in nächster Nachbarschaft der Grenze, das wußten sie alle. Und manchmal konnten sie das gleißende Licht der Domwandung in der Ferne sehen. Aber bisher hatte Tycho auch durch Befragung der anderen nichts erfahren können, was darauf hinwies, daß es eine Chance gab, einen Tunnel durch das Gestein zu graben und auf der anderen Seite des Doms aufzutauchen.
Allerdings wußte auch niemand der Befragten Argumente gegen einen solchen Plan zu äußern. Man mußte es irgendwann einmal riskieren: die Roboter ausschalten, mit den Vibratoren zum Dom vorrücken. Und dann graben …
4
Draußen ertönte ein Nebelhorn. Zeit zum Essen. Nach und nach leerte sich die Baracke. Auch die Angehörigen von Tychos Team verzogen sich nach draußen, Plastiklöffel und -teller in den Händen.
Ein magerer Mann faßte Tychos Ärmel. „Du hast dich immer noch nicht entschieden?“ fragte er.
„Oh, hallo, Rüdiger.“ Tycho war überrascht. Er nagte an seiner Unterlippe. „Ich weiß noch nicht.“ Man brauchte in der Bewegung jeden kräftigen und schlauen Mann. Und Tycho war beides. Andererseits war da die Angst, etwas falsch zu machen, im Hagel eines MGs zu sterben. Das Leben war elendig – aber es war besser als der Tod im Schnee.
„Ich finde dein Verhalten nicht gut“, sagte Rüdiger leise. „Wenn wir nicht zusammenhalten, werden wir sie nie bezwingen. – Tycho, du weißt doch selbst am besten, daß es nicht mehr lange so weitergehen kann!“
„Du hast recht.“ Tycho setzte sich auf sein Bett und legte die Jacke ab. „Aber haben
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