Der große Ölkrieg
fühlte Tycho die ersten Metallstreben des Pavillons über sich. Er zog sich zwischen zwei Träger und machte es sich für eine Weile bequem. Die See mit ihren Schaumkronen lag jetzt mehr als vierzig Meter unter ihm. Das Boot wurde von überragenden Felsstücken verdeckt, und das beruhigte ihn. Wenn er es nicht sah, konnten andere es so leicht auch nicht entdecken.
Für einen Moment kam ihm in den Sinn, wie sein Körper wohl aussehen würde, wenn er von hier oben abstürzte und irgendwo dort unten aufschlug. Seine Hände begannen bei diesem Gedanken zu zittern.
Schnell zog er sich weiter nach oben und erreichte die Fundamente des Hauses. Ab hier war es einfach. Eine Notleiter reichte bis zum Dach des Pavillons. Tycho versteckte sein Kletterwerkzeug in einer Nische des Fundaments und stieg die Leiter zügig hinauf, jedes auffällige Geräusch vermeidend. Er wußte aus eigener Erfahrung, daß das Pfeifen des Windes zwar manchen Laut unterschlug, auf der anderen Seite gelegentlich das Gehör eines Lauschenden aber eher schärfte. Und ungewohnte Geräusche wogen in einem solchen Fall doppelt.
Allerdings waren seine Sorgen, wie er zu seiner Beruhigung feststellte, unbegründet. Ein vorsichtiger Blick in eines der Fenster des untersten Stockwerkes zeigte ihm einen fettwanstigen Mann in einer weißen Phantasieuniform, dessen ganze Brust mit Orden behängt war und der in dem Raum auf und ab stolzierte, wobei er mal den Rücken und mal das Profil zeigte.
Der Mann trug einen kurzgeschnittenen, grauen Haarkranz um den sonst kahlen Kopf und hatte scharfe, stechende Augen. Die Uniformhose hatte er in die Schäfte seiner Fallschirmspringerstiefel gesteckt. Gelegentlich verharrte er, wippte auf den Zehenspitzen und hielt dabei mit Stentorstimme eine Ansprache, von der Tycho allerdings nicht ein einziges Wort verstand.
Die Zuhörer des Uniformierten waren drei ATK-Roboter, die meist strammstanden, gelegentlich aber auch im altpreußischen Stechschritt auf- und abmarschierten, je nachdem, welche Befehle ihres Herrn sie gerade erreicht hatten.
Der Mann in der Phantasieuniform war niemand anders als General Josef Remmer. Und er behinderte die mit stoischem Gleichmut hin und her rennenden Roboter, als hätte er menschliche Rekruten auf dem Kasernenhof vor sich. Das war Remmer wie er leibte und lebte.
Tycho hatte ihn schon oft gesehen, denn das Exerzieren mit den Robotern war die Lieblingsbeschäftigung des einstigen Generalinspekteurs der Eingreiftruppen, seitdem sogar Admiral Pech hatte feststellen müssen, daß Remmers geistige Konstitution für die Rekrutenausbildung kaum mehr die richtige war.
Remmer hatte weder äußerlich noch charakterlich die geringste Ähnlichkeit mit seiner Tochter. Monica war vielmehr in allem das genaue Gegenteil ihres Vaters. Gegen den Hünen Remmer war sie klein und zierlich. Ihre Stimme war melodisch und sanft, die ihres Vaters hingegen wie eine verstimmte Orgel.
Monica war nicht nur eine Schönheit mit dunklem Teint, langen schwarzen Haaren, schlank und zerbrechlich wie eine Asiatin und dabei zart gerundet, sondern auch charakterlich das volle Gegenteil von Remmer. Sie war weich und zärtlich, während ihr Vater Zeit seines Lebens den Ruf eines brutalen Leuteschinders nicht losgeworden war.
Jetzt nannte man ihn nur noch den irren Remmer , aber er hatte keinesfalls etwas von seiner Gefährlichkeit eingebüßt. Gerüchteweise war er politisch entmachtet, aber man wußte ziemlich genau, daß es in der Junta des Inselstaates Leute gab – und zwar einflußreiche –, die Remmer noch immer die Treue hielten, und zwar deswegen, weil sie bei einer eventuellen Rückeroberung der Ölquellen auf seine brutale Vorgehensweise nicht verzichten wollten.
Tycho kam es manchmal so vor, als sei der einzige positive Charakterzug an Remmer seine fast äffische Liebe zu seiner einzigen Tochter. Aber nicht einmal sie bewahrte die Sechzehnjährige davor, gelegentlich zusammen mit den Robotern zum Exerzieren antreten zu müssen. Der Irre flehte sie jedesmal danach um Verzeihung an, aber wenn es ihm in den Sinn kam, konnte keine Macht der Welt ihn davon abhalten, das Mädchen zu demütigen. Manchmal hatte Tycho Angst um das Mädchen, wenn er dort draußen in der See hockte und daran dachte, was Remmer wohl gerade mit ihr anstellte.
Obwohl Monica in mancher Hinsicht beinahe ein Kind war wie jene anderen draußen in den Wellblechbaracken, war sie andererseits doch schon eine Frau. Nicht nur körperlich, sondern auch
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