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Der gruene Heinrich [Erste Fassung]

Der gruene Heinrich [Erste Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Erste Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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welches verkommen und hungerig im Staube liegt, ist eine Schande für die ganze Landschaft, und für es selbst erwächst nicht die mindeste ersprießliche Regung aus diesem Zustande; eine greise Mutter, welche ihre Kinder und Enkel dahinsterben sieht, wird geheiligt durch ihr Weh, und ihr Lebensabend ist für sie und andere feierlicher; aber eine alte gebrechliche Frau, welche zitternd um den Tagelohn arbeitet, eine Bürde auf dem gebeugten Rücken, ist ein peinlicher Anblick und gereicht ihrer Gemeinde zum brennenden Vorwurf.
    Der Jüngling, der mit mächtigen Leidenschaften ringt und seine Grundsätze dem Leben Schritt für Schritt abstreitet, ist, so unglücklich er sich oft fühlt, bei alledem wohl daran, während uns der Bauernknecht in den Augen weh tut, der verachtet und vergessen, unwissend und trotzig vor seiner Stalltüre liegt und nach nichts verlangt als nach seinem Vesperbrot. Jener Jüngling gewinnt in jedem Sturme, und seine Energie erfreut den Zuschauer, dieser unglückliche Faulpelz aber wird durch das langweilige Tröpfeln seiner naßkalten Tage zuletzt ganz verdorben. Kurz, man soll nur dasjenige Unglück dulden, was seinem Träger zur eigentlichen Zierde gereicht, alles andere ist in einer anständigen Gesellschaft auszurotten.
    So spekulierte Heinrich in der Finsternis seines Postwagens; er vergaß indessen eine Hauptsache, nämlich daß seine anständigen und unanständigen Leiden manchmal so durcheinandergemischt und mit Schuld und Unschuld so durchwebt sind, daß ein eigener Linne nötig wäre, sie einzureihen, und gerade für den Ästhetiker könnten bei unvorsichtigem Aufräumen die seltensten Exemplare verlorengehen.

Drittes Kapitel
    Nicht ohne Herzklopfen vernahm er nun, daß man sich dem Rheine nähere, und bald sah er den schönen Fluß im Mond lichte glänzend daherwallen. Die Post hielt in einem kleinen Grenzorte, und als das Nachtquartier besorgt war, ging Heinrich wieder hinaus; denn die freie Natur, der nächtliche Himmel waren nun seine einzigen Bekannten. Einen jungen Fischer, der singend in seinem Kahne saß, bewog er, ein wenig stromaufwärts zu fahren. Die Nacht war schön; das deutsche Ufer zeichnete sich dunkel mit seinen Wäldern auf den heitern Himmel. Noch eine Ruderlänge, und Heinrich konnte den Fuß auf dies Land setzen, dessen Namen ihn mit dunklen lockenden Erwartungen erfüllte. Das badische Ufer war gerade nicht sehr verschieden vom schweizerischen. Es war finster und still, eine einsame Zollstätte ruhte unter Bäumen, ein mattes Licht brannte darin. Aber schimmernd umfaßte die Rheinflut den steinigen Strand, und ihre Wellen zogen gleichmäßig kräftig dahin, hell glänzend und spiegelnd in der Nähe, in der Ferne in einem mildern Scheine verschwimmend. Und über diese Wellen war fast alles gekommen, was Heinrich in seinen Bergen Herz und Jugend bewegt hatte. Hinter jenen Wäldern wurde seine Sprache rein und so gesprochen, wie er sie aus seinen liebsten Büchern kannte, so glaubte er wenigstens, und er freute sich darauf, sie nun ohne Ziererei auch mitsprechen zu dürfen. Hinter diesen stillen schwarzen Uferhöhen lagen alle die deutschen Gauen mit ihren schönen Namen, wo die vielen Dichter geboren sind, von denen jeder seinen eigenen mächtigen Gesang hat, der sonst keinem gleicht, und die in ihrer Gesamtheit den Reichtum und die Tiefe einer Welt, nicht eines einzelnen Volkes, auszusprechen scheinen. Er liebte sein helvetisches Vaterland; aber über diesen Strom waren dessen heiligste Sagen, in unsterblichen Liedern verherrlicht, erst wieder zurückgewandert; fast an jedem Herde und bei jedem Feste, wo der rüstige Schatten mit Armbrust und Pfeil heraufbeschworen wurde, trug er das Gewand und sprach die Worte, welche ihm der deutsche Sänger gegeben hat. Er schwärmte nur für die deutsche Kunst, von welcher er allerlei Wundersames erzählen hörte, und verachtete alles andere, Frankreich liebte er, wie man ein schönes liebenswürdiges Mädchen mitliebt, dem alle Welt den Hof macht, und wenn etwas Gutes in Paris geschah, so freute er sich höchlich, kam etwas Widerwärtiges vor, so wußte er allerlei galante Entschuldigungen aufzubringen. Erblickte hingegen in Deutschland etwas Gutes das Licht, so machte er nicht viel Wesens daraus, als ob sich das von selbst verstände, und des Schlechten schämte er sich, und es machte ihn zornig. Alles aber, was er sich unter Deutschland dachte, war von einem romantischen Dufte umwoben. In seiner Vorstellung lebte das

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